6. Dezember 2010, Morgenandacht, 6.00 Uhr

Kaffee, Zigarette. Die Seraphe ist bereits wach. Der Wasserkocher befindet sich in einem hitzigen Disput. Die Wohnung antwortet nicht. Sie schweigt. Stillt ihn schließlich. Morgen-Cappuccino-Zeit. Die Seraphe quetscht gähnend Restträume aus ihren Lungen. Dann liest sie.
Draußen hört man ein Brummen. Ein Auto quält sich den Berg hinauf. Erste Schneetotengräber schaufeln. Ein Ächzen und Heben.
Zurück am Schreibtisch. Ich tauche ab. Presse das Gesicht durch die virtuellen Wellen. Lass mich an Land schwemmen. Eine Nachrichteninsel. WikiLeaks! Ja. Ein Thema wie für Hollywood gemacht. Die werden sich bald auf den Weg machen. Die Realität ist Fiktion. Die Fiktion ist Realität. Edward Norton wird Julian Assange spielen. Regie führt David Fincher.
Ich unterbreche mich. Ein Blick zur Seite. Die Küchentür ist geöffnet. Ich entdecke einen Streifen Seraphe. Das Haar. Der rechte Arm ist angewinkelt. Sie verharrt. Völlig. Eine Morgenandacht. Sie ist in einen Thriller vertieft.
Das Leben ist ein Thriller. Wir sind Leser. Zuschauer. Das große Sterben in der Welt wird zum abendlichen Schauerakt. Elend ist eine Fußnote im Netz. Wir bestehen aus geborgten Gedanken und Bewegungsabläufen. Moderne Zombies. Dawn of the dead. Wir sind die Bewohner einer neuen Stadt, die allgegenwärtig ist. Wir sind ihre Kinder. Mega-Therion. Das große Tier. Wir sind Junkies. Bildersüchtige! Gefühlszuhälter.
Kommt schon, meine Junkies, taumelt in die Schächte dieser neuen Welt.
Schöne neue Welt. Alle sind dort. Orwell raucht im Aufzug. Er ist auf dem Weg zu Huxley. Die alles überschreitende Stadt. Die Totalität!
Mein Kaffee ist kalt geworden. Pause. Ein letzter Schluck. Eine widerliche Brühe.

Unterbrechung!

Zurück. Der Becher ist mit Kaffee aufgefüllt. Rauchte rasch eine Zigarette. Keine Schneetotengräber mehr zu sehen. Die Geräusche sind abwesend. Eine tote Stadt. Fulda. Nur ein weiterer unbedeutender Ausläufer der einen großen Stadt. Ich höre das Umblättern einer Seite. Die Seraphe liest sich voran. Meine Finger hängen wie stoßbereite Dolche über der Tastatur. Das Leben wegschreiben.



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