59. Versunken in Karstadt-Gedanken

(Rezension von Kristoffer Cornils, erschienen in junge Welt 11.8.)

Wer im dichterischen Gestus zwischen Zeige- und Mittelfinger changiert, bekommt schnell Vorwürfe zu hören. Vor allem den der Eindeutigkeit, Plattitüdenhaftigkeit. Je höher die (gesellschafts-)kritische Aufladung der Texte, desto unpoetischer sind sie, ist ein beliebtes Vorurteil. Es gibt Gegenbeispiele genug, es gibt aber auch Lyrik, die sich sprachlich selbst aushebelt und ihre Grundhaltung unterläuft. Dazu gehört auch Florian Voß‘ mittlerweile vierter Lyrikband. Auch an dem könnte man die Apparatur der vorschnellen Verdikte bedienen: Man könnte die Texte mit ihrem raubeinigen Sarkasmus und ziemlich deutlichen Absichten als Meinungsmache abkanzeln, als Entmündigung des Lesers.

Sieht man aber über die offensichtlichen Kritik und die  Polemiken hinweg, die »Datenschatten Datenströme Staub« überwiegend ausmachen, bleibt die Sprache eine Materialschlacht, die zum Friendly fire wird. Voß bedient sich dem Medien- und Alltagssprech, verwendet technische Termini und ist selbst preziösen Genetivmetaphern wie „Der ausgekippte Rosé der Sonne“ nicht abgeneigt, was Vorbilder aus dem expressionistischen Jahrzehnt erahnen lassen. Und analog zu den geistigen Vorfahren versucht Voß die Menschheitsdämmerung an den großstädtischen Dönerstand zu zeichnen. Andererseits wirft er mit sperrigen Begriffen um sich, Schlagworten, die sich nicht zusammenfügen oder im schlimmsten Fall dem zureden, was er zu kritisieren meint. Komposita wie „Karstadt-Gedanken“, „Laden-Mädchen“ oder „Maggi-Gesichter“ sind nicht nur ziemlich platt, die Pointen kopieren sogar die Manier der Boulevardpresse bis in die Orthographie hinein und sind vielleicht noch als Rezeption dieser zu verstehen, aber nicht wirklich kritisch weiterzudenken. Die Impulse, die die Gedichte liefern könnten, bleiben so aus.

Es liegt dann eben alles zu offen da: Der Stumpfsinn des Konsumentenlebens, die zu absoluter Apathie führenden medialen Mindfucks und der digitale Eskapismus, die Voß‘ Hauptthemen ausmachen, sind eher erdrückend als eindringlich gezeichnet. Die Provokation, die von Zeilen wie die vom „Spielplatz / auf dem besoffene Kinder sich / die Knüppel übern Schädel ziehen“ ausgehen soll, oder überzynische Appelle wie „Laßt [sic, im Buch wird die neue Rechtschreibung verwendet. Anm. K. C.] uns Kinder abtreiben / und sie bei Oliver Geissen hochhalten“ verpuffen sehr schnell. Anstatt also die Perversion des 21. Jahrhunderts zu demaskieren, tragen die Texte noch eine weitere Schicht auf.

Stärker zeigt sich Voß beim Rückzug ins Private. Im Mittelteil findet der Band seinen Höhepunkt in Texten, die sich überwiegend mit dem Tod von Familienangehörigen auseinandersetzen, bevor er sich in literaturhistorisch ausgerichteten Texten wieder verliert. Voß‘ Stärken liegen nicht unbedingt in der kritischen Auslassung, sein Umgang mit der Sprache steht ihm, selbst bei den vielleicht besten Intentionen, zu sehr im Weg: Für ein geschmackloses Celan-Echo wie „Hellgraue Milch des verhangenen Vormittags / wir trinken dich und fragen uns: / hat da jemand reingeascht?“ gibt es schon fast keine Entschuldigung mehr.

Florian Voß: Datenschatten Datenströme Staub. Verlagshaus J. Frank, Berlin 2011. 80 S., 13,90€.

(hier Cornils Text mit fast 8 Minuten Audio: Voß liest Gedichte – darunter gleich eingangs das mit dem Milchzitat)

Vgl. L&Poe #38. Paul Celan-Anspielungstest



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