Meine bisherigen Erfahrungen mit Rye Whiskey waren erstens wenig und zweitens nicht von Begeisterung geprägt. Bitteres, holziges Zeug ohne Klasse, das ist in der Erinnerung übrig geblieben, wenn ich auf einer Whiskymesse oder in einem Cocktail einen probiert hatte. Grundsätzlich ist das nicht verwunderlich, denn aufgrund der mindestens 51% Roggen in der Maische, die ihm seinen Namen und die eine Seite der herben Noten geben, sowie der durch US-Gesetz festgelegten Reifung in frischen Eichenfässern, die die andere Seite bilden, ist Rye Whiskey eben immer von tendenziell bitter-holzigen Noten geprägt. Trotzdem findet er seine Fans und die schwören auch darauf, dass da mehr dahinter ist als eine bloße Campari-Version von Bourbon. Ein Rye-Tasting ist da eine gute Gelegenheit, diese Behauptung auf die Probe zu stellen.
Thomas und Anette, die die Auswahl zusammengestellt und dann mit viel Überzeugung und Charme präsentiert haben, haben zum Einstieg einen Rittenhouse Straight Rye 100 proof, Heaven Hill Distilleries, ca. 6 Jahre, 50% gewählt, weil er genau auf diese Position passt. Von Barkeepern wird er für seinen eher zurückhaltenden und kaum eigenwilligen Charakter geschätzt. Hier kommen also keine „fremden“ Noten ins Spiel, sondern das, was für Rye typisch ist. Das zeigt sich schon in der Nase mit Wurzelwerk, Holz, Bitterkeit und etwas Vanille dahinter. Etwas später hab ich noch die Assoziation mit Traubenschalen, Trester oder Grappa, die am Tisch aber sonst nicht geteilt wird. Auch im Mund ist das jetzt keine Überraschung. Die Ähnlichkeit zum Bourbon ist offensichtlich, aber eben mit mehr bitteren und würzigen Noten und deutlicherem Holzanteil. Einen Abgang hätte ich nicht erwartet, aber trotzdem bekommen. Zwar gibt es keine großen und komplexen Veränderungen (was aufgrund des jungen Alters, das die meisten US-Whiskeys haben auch nicht überrascht), aber trotzdem einen mittellangen Abgang, bei dem die bitteren Noten immer mehr verschwinden und einer malzigen Süße Platz machen. Insgesamt ist das ziemlich OK. Kein Überflieger, aber doch gut trinkbar. Vielleicht ist der Unterschied schon, dass ich ihn nicht zwischen anderen Whiskys trinke und der Rye-typische Geschmack dadurch nicht als extremer Kontrast hervortritt.
Weiter geht es mit dem Knob Creek Straight Rye Whiskey, 50%, der aus dem Hause Jim Beam stammt. Was unter dem Namen Jim Beam verkauft wird, finde ich pur weitestgehend ungenießbar. Dass die Destillerie aber an sich schon mehr drauf hat, habe ich hingegen schon mehrfach gehört und wird hier tatsächlich auch bestätigt. Der Geruch ist vom Charakter ähnlich, aber eindeutig milder. Anfangs ist ein bisschen Lösungsmittel dabei, später kommt das Holz dann doch durch, bleibt aber leichter und besser eingebettet. Der Geschmack ist dann kräftiger als erwartet, insgesamt aber eine Ecke süßer als beim Rittenhouse. Das alles wirkt inklusive des Abgangs sehr ähnlich, aber etwas leichter (was beide bei der Prozentzahl eigentlich nicht sind). Interessant finde ich, dass die Intensität mit der Größe des Schluckes eklatant zunimmt.
Zum Vergleich gibt es einen Bourbon von Knob Creek. Hier gibt es wenig überraschend mehr Vanille und mehr Süße. Direkt neben dem Rye wirkt der sehr sehr leicht, gefällt mir aber ausgesprochen gut. Kann man sich beides schon mal ins Regal stellen, vor allem da die Preise hier für Whisk(e)y angenehm human sind.
Nummer drei ist ein Experiment und damit der erste Ausreißer des Abends. Schon lange vor der Craft Beer Szene hat sich in den USA eine kleine, aber überzeuge Craft Whiskey Szene etabliert, die mit sämtlichen Konventionen bricht und ohne Skrupel alles ausprobiert, was man mit Destillat so anstellen kann. Das führt dazu, dass vieles nicht mehr unter dem Label „Whiskey“ laufen darf, bringt aber auch ziemlich extravagante Abfüllen hervor (die in Folge auch nicht jedermanns Geschmack sind). Der Corsair Ryemageddon, Corsair Artisan LLC, 46% stellt dabei nach Bekunden der Hersteller den Versuch dar, so viel Schokolade wie möglich in einen Rye zu packen. In der Nase merke ich davon allerdings nichts. Zwar ist das völlig anders als die beiden Vorgänger, erinnert uns aber sehr viel mehr an einen Obstbrand (Kirsche oder Zwetschge) als an Schokolade. Vom Fass ist absolut nichts wahrzunehmen. Der Geschmack ist ebenso eigen, sehr weich und mit sehr viel Frucht, aber ebenfalls ohne Schokolade, was mich jetzt nicht direkt stört. Das einzige Manko ist der recht kurze und unspektakuläre Abgang. Ansonsten finde ich das Experiment recht gelungen, auch wenn zumindest in meiner Wahrnehmung nicht das bringt, was geplant war.
Mit dem letzte Whiskey vor der Pause wechseln wir über die Grenze nach Kanada. Während die USA die strengsten gesetzlichen Regeln für Whiskey haben, sind die Kanadier in der Hinsicht das genaue Gegenteil. Erlaubt ist alles und somit kann man sich nicht mal drauf verlassen, dass sich im Rye überhaupt Roggen in nennenswerten Mengen befindet. Das ist hier nicht der Fall und soll uns auch ansonsten nicht weiter stören. Beim Crown Royal Northern Harvest Rye, The Crown Royal Distilling Company, 45% kommt für mich zum ersten Mal eine Note heraus, die an sich auch typisch für Rye Whiskey ist, nämlich Pfeffer. Der befindet sich in einer sehr harmonischen Gesellschaft von vollen, fruchtigen Noten und eher dezentem Wurzelwerk. Auch im Mund ist der Pfeffer deutlich neben den anderen typischen Geschmacksnoten und bleibt auch im Abgang stets wahrnehmbar. Da wird der Crown Royal im Vergleich zu den Vorgängern ein bisschen wässrig, aber ansonsten finde ich das sehr gelungen. Bislang mein Favorit.
In der Pause können die „Mutigen“ ein weiteres Experiment einer Craft Distillery probieren: den Copper Fox, 45%. Da bin ich dabei, aber das Ergebnis ist eher interessant als überzeugen. Hier wurde mit Apfel- und Kirschchips gearbeitet und auch ansonsten viel gedreht. Man fragt sich nur warum, wenn das Ergebnis dann so ausfällt. Es mag Menschen geben, die so was wirklich mögen. Aber es gibt ja auch Menschen, die sich gerne Stromkabel an die Geschlechtsteile anschließen. Für den Rest der Menschheit fällt das dann eher in die Kategorie „fiese Scheisse“ und da gehöre ich auch dazu.
Nach der Essenspause geht es von den Standards zu den eher besonderen Abfüllungen. Die erste ist ein James Oliver, Indio Spirits Distillery, 4 Jahre, Rye, 50%. Der bringt deutliche Honignoten mit rein, sowohl in der Nase wie auch im Mund. Dabei ist er insgesamt sowohl ziemlich ausgewogen, wie auch eher komplex. Der Roggen ist nicht dominant, sondern ergänzt sich mit etwas Frucht, etwas Holz, Vanille und dem Honig zu einer feinen Komposition. Gefällt mir richtig gut und ist schon klar eine andere Klasse als die Konkurrenten vor der Pause.
Eine Totenfeier ist für viele ein trauriger Moment. Ich hingegen halte sie für eine gute Gelegenheit, die Vergangenheit nochmal hochzuhalten und dann mit ihr abzuschließen. Das ist nichts schlechtes, sondern eben der Lauf der Dinge. Der Leichnam ist in dem Fall auch nur für seine Fans gestorben, denn Willet’s produziert wieder Whiskeys. Nur eben nicht in der Güteklasse wie früher, zumindest nach Aussage der Anhänger. Wir haben hier zwei der alten Abfüllungen im Glas, einen Willett Straight Rye, Kentucky Bourbon Distillery, 5 Jahre, Barrel No. 49, 55% und einen Willett Straight Rye, Kentucky Bourbon Distillery, 4 Jahre, Barrel No. 24, 55%. Die These vom Absturz können wir damit nicht überprüfen, aber zumindest die von der alten Klasse. Auch hier zeigen beide eine recht harmonischen Geruch, bei dem der Rye-Charakter nicht dominiert, sondern schön eingebettet ist. Der jüngere wirkt dabei frischer, der ältere weckt die Assoziation von überreifer Frucht, die kurz vor dem Vergären ist. Geschmacklich sind beide sehr ähnlich, der ältere drückt den jüngeren aber mit seinem Volumen klar an die Wand. Dafür enden beide wieder in einem schönen, stimmigen Abgang. Feine Sache, die übergroße Begeisterung will sich aber nicht einstellen. Im Zweifel würde ich hier dem James Oliver den Vorzug geben. Wenn man bedenkt, dass man für diese alten Abfüllungen auch locker mal den dreifachen Preis hinlegt (sofern man sie überhaupt noch bekommt), sowieso.
Wo wir gerade beim Preis sind – für völlige Phantasiepreise bekommt man auch richtig lang gereifte Abfüllungen. Wobei gereift hier in die falsche Richtung deutet. Aufgrund der klimatischen Bedingungen und der neuen Fässer reift amerikanischer Whisky nicht nur sehr viel schneller als schottischer oder irischer, sondern erreicht dann auch recht schnell den Punkt, an dem ihm das Fass nicht mehr gut tut. Da kommt dann keine Klasse mehr dazu, sondern das Ergebnis wird ekelhaft bis untrinkbar. Thomas hat auf einer Messe eine kleine Menge 25jährigen Willet’s erworben und die bestätigt diesen Eindruck. Ein Glas für alle ist da auch genug, denn den meisten reicht es, die Nase kurz reinzuhalten. Hustensaft reicht, um das beschreiben (wobei ich da auch schon attraktivere hatte). Eine Fingerspitze abgeleckt bestätigt den Eindruck auch im Mund. Bah!
Gehen wir zurück zu sinnvollen Getränken. Der Michter’s Barrel Strength Kentucky Straight Rye, Barrel No. L15E494, 54.9% zum Abschluss hat nicht nur die coolste Flasche, sondern zeigt auch nochmal, was bei Rye so möglich ist. Insgesamt sehr ähnlich zum James Oliver mit Honignoten und einer ausgewogenen Komplexität. Dabei aber etwas voluminöser und tiefer. Da haben wir für mich den Gewinner des Abends. Bei dem könnte ich mir durchaus vorstellen, dass in mein Regal wandert, da der Preis auch mehr als in Ordnung ist.
Sehr schönes Tasting, bei dem man viel neues und spannendes entdecken konnte. Gern mehr in der Richtung!