Wenn man sich in heutigen Zeitschriften nach den ästhetischen Erben der historischen Avantgardebewegungen umsehen will, muss man eine Lupe zu Hilfe nehmen. Denn viele Innovationsbemühungen der sogenannten jungen Schriftstellergeneration nehmen sich aus wie matte Stilübungen literarischer Praktikanten. In der typografisch zwar einfallsreichen, textuell eher substanzarmen Zeitschrift für „junge Literatur“ „BELLA triste“, die soeben mit dem Förderpreis der Kurt-Wolff-Stiftung ausgezeichnet worden ist, weht – im Hinblick auf avantgardistische Konzepte – bestenfalls ein laues Lüftchen. Neugierig machen in Heft 31 immerhin die Gedichte von Jan Skudlarek, dessen literarische Referenzfiguren aus der allerjüngsten Gegenwart stammen, wird hier doch in markanter Signalgebung ein „rainaldgoetzgesicht“ aufgerufen.
Sehr viel mehr Abenteuer des Ästhetischen ermöglicht das neue Heft, die Nummer 57 der Leipziger Literaturzeitschrift EDIT. Hier findet man aufregende Essays junger amerikanischer Autoren, etwa von Wayne Koestenbaum über „Heideggers Geliebte“, ein Text, der sich spielerisch-assoziativ durch die deutsche Philosophie schlängelt. Zu den bemerkenswerten Funden in EDIT gehören auch Anagramme und Überschreibungen eines Gedichts von Carl Friedrich Claus, des visionären experimentellen Künstlers und Graphomanen, der seine Texte systematisch in faszinierende Schriftbilder verwandelte. Hier treibt sich auch der sprachverrückteste Dichter der jungen Generation herum, der aus dem Saarland stammende und in Berlin lebende Konstantin Ames, der in wortakrobatischer Vergnügung einige Stilmasken aufsetzt und sprachreflexiv dekonstruierte „Weltwaisen“ zum Besten gibt. „Vor stilfaschisten : barrikaden errichten“, postuliert da beispielsweise ein Text, der verschiedene Dichtergesten parodiert und am Ende in ironischer Verkehrung fordert: „Den jungdichtern ist komplexitätsreduktion zu wünschen = 1. brandrede an die stolterfohtepigonen“. Diese Produktionsanweisung, Gedichte zu ermäßigten hermeneutischen Konditionen zu schreiben, wird jedoch sehr wahrscheinlich von Konstantin Ames nie befolgt werden. / Michael Braun, Poetenladen
BELLA triste, H. 31
Neustädter Markt 3-4, 31134 Hildesheim. 106 Seiten, 5,35 Euro.
Edit Nr. 57
Gerichtsweg 28, 04103 Leipzig. 130 Seiten, 5 Euro.