55. Beiläufigkeit als Stilprinzip

Von Lnpoe

Wulf Segebrecht stammt aus dem protestantischen Preußen (geboren in Neuruppin, Schulen in Königsberg, Kolberg in Pommern, nach 1945 Lübeck), seine Universitätslaufbahn spielte sich überwiegend in katholischen Gegenden ab. Wie dem auch sei, das Protestantische (oder das Wort Protestant) in Gedichten Nora Bossongs sticht ihm sehr ins Auge:

Das Subjekt kommt in diesem Fall aus dem nüchternen Bremen. Daher das „Rolandslied“, daher auch die Bremer Stadtmusikanten, die gleich mehrfach zitiert werden. Ein ganzer Abschnitt des Gedichtbandes ist „Im Protestantenland“ überschrieben. Da, im norddeutschen „Diesigland“ unter magerem Protestantenhimmel, beobachtet und rekapituliert die Dichterin mit fast volkskundlichem Interesse die „Aussterbende Art“ der Rotrockfrauen, die mit knöchernen Protestantenfingern die Bibel durchblättern, führt mit befremdeter Beglückung durch die alten niedersächsischen Klöster und zur Teufelsbrücke im Deister, wobei sogar plattdeutsche Wendungen aus Fritz Thörners einschlägigem Heimat-Gedicht zitiert werden.

(In ihren Gedichten, stellt er aber fest, spielen Päpste eine größere Rolle). Auch sonst ist er beeindruckt, gewiß zu Recht:

Wer sich auf Nora Bossongs Gedichte einlässt, kann sich auf manche Entdeckungen dieser Art gefasst machen. Die Lyrikerin hat sich die scheinbare Beiläufigkeit zum Stilprinzip erkoren und erweist sich gerade durch den frappanten Beziehungsreichtum des Unspektakulären als eine der größten Begabungen der jungen Literaturszene.

„Sommer vor den Mauern“ ist nach „Reglose Jagd“ (2007) der zweite Gedichtband der 1982 geborenen Autorin, die inzwischen auch mit zwei Romanen hervorgetreten ist, zuletzt mit „Webers Protokoll“, einem belletristischen Pendant und Vorläufer zur öffentlichen Diskussion um das „Amt“.

/ FAZ

Nora Bossong: „Sommer vor den Mauern“. Gedichte. Edition Lyrik Kabinett bei Hanser, München. 96 S., geb., 14,90 Euro.