‘Wir sind verantwortlich/ für die Gestalt eines jeden Menschen / Wenn wir vergessen / wird / unsere Poesie / ein verächtliches Gerede.’ Mit diesem Vers aus seinem Gedichtband ‘Unruhe’ könnte das gesamte Werk von Tadeusz Różewicz überschrieben werden. Er verstand sich als ‘Antidichter’, nie dürfe die Form eines literarischen Werks den direkten Blick auf den Menschen verstellen. ‘Unruhe’ erschien 1947. Es ist seine Reflexion über die Schrecken des Besatzungsterrors, der Massenmorde, der Zerstörung der Städte, aber auch über den Verlust des Gemeinsinns, den Sieg des brutalen Egoismus. Nach diesem Kriege dürfe es keine Wortgirlanden, kein Wortgeklingel mehr geben. Seine schweren Verse verzichten auf jegliche Metapher, die Wörter sind karg und nackt.
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Różewicz bleibt misstrauisch gegenüber Heilsversprechen. Aber er misst sich und die Menschen nicht an der Größe vergangener Epochen, wie dies die anderen drei im polnischen ‘Kleeblatt der Poesie’ getan haben: die Nobelpreisträger Wislawa Szymborska und Czeslaw Milosz sowie der Antikebewunderer Zbigniew Herbert. Doch wie diese Drei gilt er, der selbsterklärte Antipoet, heute als Klassiker der polnischen Dichtung. Die Stadt Breslau, in der er seit fast einem halben Jahrhundert lebt, hat aus Anlass seines 90. Geburtstags das Rozewicz-Jahr ausgerufen. Milde lächelnd gibt er zu erkennen, dass ihn diese Ehrungen wenig bekümmern. / THOMAS URBAN, Süddeutsche Zeitung 8.10.