Nie zuvor hat das „Schreibheft“ so viel Sorgfalt und Mühe auf die biografische Erschließung eines Schriftstellerlebens verwendet. Frühere Hefte konzentrierten sich auf kühle literaturtheoretische Exegesen und streng philologische Annäherungen. Das Konrad Bayer-Dossier trägt nun in seiner Collage persönlicher Dokumente, Erinnerungen und Bildzeugnisse fast hagiografische Züge. Der große Avantgardist Bayer tritt uns hier als selbstquälerischer Unruhegeist entgegen, in verzweifelten Briefen, Kommentaren, faszinierenden Fotos und Handschriften. Der niederländische Essayist und Übersetzer Eric de Smedt hat gemeinsam mit dem „Schreibheft“-Herausgeber Norbert Wehr ein Dossier zusammengestellt, das die Schlüsselszenen im Leben eines kompromisslos rebellischen Autors rekonstruiert.
Konrad Bayer fehlte vollkommen das Karrierebewusstsein seiner Mitstreiter Gerhard Rühm, H.C. Artmann und Friedrich Achleitner. Er war, in seiner völligen Hingabe an ein egomanisches wildes Boheme-Leben, ein „böser Bub“, stets bereit zum Exzess in der Liebe und jederzeit willens, sich „an die Grenze seiner Physis zu bewegen“.
„Das Geschwätz vermeiden“, so hat er an den oberen Rand eins seiner graphomanisch bekritzelten Blätter geschrieben, die nun das „Schreibheft“ aus dem Nachlass veröffentlicht. Auf einem anderen Blatt findet sich ein weiterer programmatischer Imperativ: „Die Verneinung nicht vergessen“. / Michael Braun, Poetenladen
Schreibheft 79
Rigodon Verlag, Nieberdingstr. 18, 45147 Essen. 192 Seiten, 13 Euro.