Nicht weniger gewichtig, aber deutlich weniger elfenbeinturmhaft geht es in der von Simone Kornappel und Philipp Günzel herausgegebenen Zeitschrift „randnummer“ zu. Bunt, verstörend, verlinkt und engagiert, hat sich die Zeitschrift mit ihrer vierten Ausgabe als Literaturorgan schon ziemlich etabliert. Bei der Lektüre befindet man sich von Beginn an in einer latenten Unruhezone, ein „Empört Euch!“ pulsiert durch die hundertsiebenundzwanzig Seiten, deren konzeptionelle Grundidee für diese Ausgabe in einer lockeren Synthese aus Märchenmotiven und Gesellschaftskritik zu liegen scheint. Das beginnt schon mit der geschickten Covergestaltung mithilfe eines sensationell realsatirischen Fotos, das Sabine Scho beigesteuert hat, die auch mit einer dadaistischen Konsumkritik („wohnschmaschinen – auf diese wünsche können sie bauen“) textlich vertreten ist. …
Eine befremdende, hintersinnige Parodie auf das zur formelhaften Verramschung verkommene Staatsgebaren präsentiert Monika Rinck im märchenhaft-beschwörenden „Glücksspielstaatsgedicht“: // Mein frittierter Hase, ich kenne die Verfinsterung. Ein gutes Leben, / Eine gute Regierung, Glück und Zivilwesen, zukunftsweisendes Idyll. / Es mengte sich mein Staat nicht in dein Glück. Immerzu tue Du, was Du, / nicht, was ich will. Doch muss ich, leider, den natürlichen Spieltrieb / meiner Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen lenken. Eine Stimmung, die von den surrealen Illustrationen (aus Blütenkelchen schwebende Fuchswelpen, laubsaugende Gestalten mit Hirschköpfen) von Marie Mustache kontinuierlich durchs Heft getragen wird. Dazwischen gibt es Ruhepole wie den Zyklus „bildgebende verfahren“ von Nicolai Kobus. Auf die interessanten Texte zum Beispiel von Kristoffer Patrick Cornils („Haikuzerstückelung“), Konstantin Ames („Verbleichen immer, verblichen nimmer!“) oder René Hamann („TENGO QUE ACER AGUNAS COMPRAS“) ist schon in anderen Rezensionen eingegangen worden, deshalb sei unbedingt noch auf die effektvollen Gedichte von Michael Zoch hingewiesen: schrankwandmenschen / ichmaschinen / vergötterte weiber (erschreckend real) / der frühling erschossen vorm altglascontainer / (dahinter platzt spaltbreit der augenblick auf) / ein baum holt wasser aus der tiefe // („Adlertage“). Von diesem, jedenfalls bislang, leider an etwas merkwürdige Verlage sich verschenkenden Autor (warum?) lese ich immer wieder sprachlich schöne, ideenreiche Lyrik, man hat da immer das Gefühl, noch ein Stück Fleisch am blankgeleckten Knochen der kontemporären Lyrik ergattert zu haben: da ist dieser geschmack in mir nach parteipolitik und entrahmten gewittern oder eine mondkranke taube streichelt das pflaster („In Andere Sphären“). / Dominik Dombrowski, fixpoetry
Konzepte Nr. 31, Zeitschrift für Literatur, herausgegeben vom Bundesverband junger Autoren, Neu-Ulm 2011, 180 Seiten, 12,00 Euro
randnummer – literaturhefte, Ausgabe 04, herausgegeben von Simone Kornappel und Philipp Günzel, Berlin 2011, 127 Seiten, 5,00 Euro