Worauf Sie mal 5 Wochen verzichten könnten.
D ie 40-tägige Fastenzeit ist für gläubige Christen die Vorbereitung auf Ostern, das Fest der Auferstehung Jesu Christi. In alter Zeit verzehrten die Christen während dieser Zeit kein Fleisch, tranken keinen Wein und aßen auch nur am Abend.
Auch heute noch ist die Zeit nach Karneval und Fasching für viele Menschen ein Anlass zur Entsagung. Nach einer Forsa-Umfrage würden 78 Prozent der Deutschen in der Fastenzeit am ehesten auf Alkohol verzichten. Auf den weiteren Plätzen folgen Süßigkeiten, Rauchen, Fleisch und Fernsehen. Am wenigsten würden die befragten Bundesbürger auf Computer oder Internet verzichten.
Doch was soll das bringen?
Bricht man damit tatsächlich mit „schlechten" Gewohnheiten? Oder ist es wie mit den Vorsätzen an Silvester oder der neuen Low-Carb-Diät? Nach einigen Wochen wird man rückfällig und landet wieder in der beliebten Komfortzone.
Wenn Sie wirklich dauerhaft Gewicht abnehmen und halten wollen, empfehle ich die Methode, die ich selbst über ein Jahr gemacht habe: Intervallfasten.Aber ob die vielleicht erhoffte innere Einkehr sich wirklich einstellt, wenn man sich eine Zeitlang Gummibärchen verbietet, ich bin skeptisch.
Bei den genannten Verzichtsobjekten geht es ja immer um Dinge, die entweder als ungesund oder gefährlich gelten. Und wenn das das Kriterium ist, auf etwas Anderes in den nächsten Wochen zu verzichten, dann hätte ich noch ein paar einfallsreichere Ideen.
Fünf kreative Ideen für die Fastenzeit.
Der Sinn des Fastens ist ja, sich seiner Abhängigkeit von etwas bewusster zu werden. Also achtsamer für das zu werden, was man glaubt, unbedingt zu brauchen. Und dann vermutlich zu erleben, dass diese Abhängigkeit künstlich ist, also man auch ohne das leben kann. Vielleicht sogar leichter.
Das Fasten zeigt einem, dass man ohne diesen Stoff oder diese Sache auskommt. Man hat eine Fessel abgestreift, von der man vorher glaubte, dass man ohne sie nicht leben könnte bzw. das Leben viel ärmer wäre.
Hier fünf Beobachtungen, was manche Menschen für unverzichtbar halten. Vielleicht wollen Sie ja mal ausprobieren, ob es nicht auch ohne geht. Erst mal nur eine Woche, nicht gleich bis Ostern. Sie können ja nach jeder Woche verlängern.
Haben Sie Lust? Also dann.
1. Verzichten Sie auf Ihre Erwartungen.
Um uns sicher fühlen zu können in einem unsicheren Leben, das jeden Moment enden kann und in dem uns schreckliche Dinge passieren können, brauchen wir Erwartungen.
„Wenn A, dann B", ist unser Credo. Das trifft für die Verlässlichkeit der Schwerkraft, physikalische Gesetzmäßigkeiten und den Lauf der Gestirne noch zu. Leider auch für die Flugbahn von Astroiden und Meteoriten, wie wir letzte Woche beinahe erfahren haben.
Aber für das Verhalten unserer Mitmenschen erfüllt sich das nicht so berechenbar. Wer nett zu anderen ist, wird nicht immer belohnt sondern auch ausgenutzt. Wenn man mit gutem Beispiel voran geht, ist man zuweilen alleine. Auf der A5 immer den Sicherheitsabstand einzuhalten, kann ärgerlich sein.
Probieren Sie's aus für eine Woche. Verzichten Sie auf die Erwartung, wie etwas zu sein hat. Wie etwas richtig, gerecht oder sinnvoll wäre. Wie ein anderer Mensch (Ihr Partner, Kind, Chef, Kunde, Nachbar) sich verhalten sollte, weil das doch das Normalste von der Welt ist. Weil man das doch zumindest verlangen kann.
Sie kennen vielleicht schon einige Ihrer Begründungen, mit denen Sie Ihre Erwartungen rechtfertigen und untermauern.
Glauben Sie mir: sie sind menschlich - aber völlig irrelevant. Denn Ihre Erwartungen sind einfach nur Ihre Wünsche, wie etwas ein sollte. Und andere Menschen haben vielleicht ganz andere Erwartungen, die sind genauso in Ordnung.
Also, Sie dürfen Ihre Begründungen pflegen aber sie können Ihre Begründungen auch sein lassen. Weil sie nichts bedeuten. Es sind halt Ihre Erwartungen, sonst nichts. Und Erwartungen sind die Quelle von Enttäuschungen.
2. Verzichten Sie auf negative Bewertungen.
„Das kann nicht klappen, mal wieder so modernes Zeugs, ist ja mal wieder typisch, isja unmööööglich, das ist Scheiße, wer braucht denn sovwas, warum machst du so'nen Quatsch, der letzte Dreck ..."Manche Menschen, die zu allem ihren abwertenden Kommentar abgeben müssen, halten sich ja für meinungsstark. Bei Lehrern und Politikern ist das fast schon eine Berufskrankheit. Zu allem eine Meinung haben, meist eine negative.
Mit den negativen Bewertungen ist es wie mit den Erwartungen. Sie bedeuten nicht viel, denn sie sind völlig subjektiv. Der Kommentierer meint zwar, dass er die Wahrheit über x verkündet und versucht, das mit Argumenten zu belegen. Aber das ist vergeblich. Denn ein anderer hat die entgegensetzte Meinung und kann sie auch gut begründen.
Das Einzige, was sich vermutlich zu einem Gespräch oder zu einem Thema beitragen lässt, ist ein persönliches Gefühl: „Finde ich angenehm oder unangenehm". Also der Facebook-Button in Sprache übersetzt.
Das ist persönlich. „Gefällt mir nicht" ist streng genommen keine Bewertung, sondern eine Gefühlsäußerung, und die kann niemand bestreiten.
Der Unterschied zur Bewertung ist, dass ich mit „Gefällt mir/nicht" auch etwas über mich selbst aussage. Über mein Wissen, meinen Geschmack, meine Vorlieben.
Mit einer negativen Bewertung drücke ich natürlich auch einiges über mich selbst aus, aber da ich über die Sache urteile, klingt es gleich objektiver.
3. Verzichten Sie auf Ausreden.
Mit Ausreden versuchen wir etwas zu verschleiern, was wir getan haben aber nicht zugeben wollen. Vor dem anderen und vor uns selbst. Für alle, denen es schwerfällt, auf Alkohol in der Fastenzeit zu verzichten, gibt es in Franken eine geniale Lösung:
Ausreden gibt es in vielen Formen. Leugnen, lahme Entschuldigungen und vor allem Rationalisierungen. Da nennt man einen guten Grund - statt des richtigen. „Warum nehmen Sie Drogen", wird der Jugendliche gefragt. „Das ist mein Protest gegen diese Gesellschaft, in der jeder nur noch funktionieren soll."
Mein Vorschlag: lassen Sie es! Zumindest mal für eine Woche.
Die Alternative: geben Sie's einfach zu. Dass Sie den Anruf zum Geburtstag Ihres Freundes vergessen haben (nicht weil Sie soviel Stress hatten). Dass Sie keine Lust haben, den neuen Film von dem angesagten Regisseur zu sehen (nicht weil Sie keinen freien Abend mehr haben).
„Warst Du gerade auf einer Pornoseite?" fragt der Kollege oder die Partnerin.
Geben Sie's einfach zu. Zugegeben: es braucht Mut. Denn Sie müssen etwas hergeben, Ihr Bild von sich, von dem Sie möchten, dass es andere auch glauben. Das kann anstrengend sein.
Wenn Sie auf Ausreden verzichten, erobern Sie sich den Raum zurück, sich so zu zeigen, wie Sie sind.
4. Verzichten Sie aufs Rechthaben.
Na gut, damit kann man locker sechzig Minuten Talkshow füllen. Aber für wen ist das? Die Gäste der Talkshow ändern ihre Meinung nicht (dazu müssten Sie ja nachfragen und verstehen wollen.)
Die Zuschauer ändern ihre Meinung meist auch nicht, denn sie wollen sich ja bestätigen lassen, dass Sie mit ihrer persönlichen Meinung schon immer Recht hatten. Und jetzt hat der Experte das auch noch bestätigt. Das fühlt sich schon super an.
Aber - Sie ahnen es bereits - es bedeutet: nichts.
Es sind völlig subjektive Ansichten, immer ausgerichtet nach dem Parteibuch, der Rolle in der Regierung oder Gesellschaft, den persönlichen Erfahrungen, die jemand damit in seinem Leben gemacht hat, wie er/sie sich die Welt erklärt usw.
Verzichten Sie doch mal aufs Rechthaben. Sie könnten in Ihrer Partnerschaft damit anfangen.
-
Sie/er findet Bioäpfel besser als die Supermarktware?
Geben Sie nach. - Er/sie findet, dass Sie zu dicht auf den Vordermann auffahren?
Geben Sie nach. -
Er/Sie findet, dass Sie zu streng/nachgiebig mit dem Kind sind?
Geben Sie nach.
Zu schwierig? Probieren Sie's mit „Vielleicht hast Du Recht." Das ist die entschärfte Variante. Von Jens Corssen hörte ich jüngst auf einem Vortrag den Tipp: „An ungeraden Tagen hat meine Frau Recht, an den geraden Tagen ich."
Wie ich schon schrieb: es bedeutet nichts. Wenn Sie nicht immer auf den nächsten geraden Tag warten wollen - würfeln Sie.
5. Verzichten Sie aufs Aufheben.
Fasten kann durch den dabei erlebten Verzicht helfen, Ihren Blick auf das Wesentliche zu lenken. Sie fokussieren sich. Aber wie es ist mit vielen Dingen, die vernünftig sind: Sich davon zu trennen, kann weh tun. Sie wissen schon, die leidige Komfortzone.
Deswegen heben ja viele Menschen auch Dinge auf, die sie nicht mehr brauchen oder schon Monate oder Jahre nicht mehr benutzt haben. Hier ein guter Artikel meines Blogger-Kollegen Jochen Mai dazu.
Mein Fasten-Vorschlag: Verzichten Sie darauf, Dinge aufzuheben, die Sie nicht mehr brauchen. Werfen Sie sie weg!
Entrümpeln Sie Ihren Schreibtisch.
Vor allem all die Jahrgänge von Fachzeitschriften, die entweder veraltet oder längst in elektronischer Form vorliegen. „Und wenn ich mal was nachschlagen muss?" Gegenfrage: Wie oft in den letzten Monaten mussten Sie das?
Probieren Sie aus, Ihren Schreibtisch leer zu räumen, so dass nur noch der Monitor, ein Telefon und ein Stift darauf liegen. (Wenn Sie wissen wollen, wie das geht, in meinem eMail-Kurs über Aufschieberitis steht die Anleitung für hartnäckige Fälle).
Entrümpeln Sie Ihren Kleiderschrank.
„Das Teil war damals so teuer", höre ich Sie schon rufen. Stimmt, damals.
„Das kann man doch noch gut tragen." Stimmt, Sie tun's aber nicht.
Wegwerfen ist immer ein kleiner Tod. Es erinnert uns daran, dass nicht die Zeit vergeht, sondern dass wir in der Zeit vergehen.
Entrümpeln Sie Ihren Keller.
Ich habe keine Ahnung, was Sie in Ihrem Keller aufheben. Schulhefte der Kinder. Raclette-Pfanne nebst Schokobrunnen und Waffeleisen. Seit zwei Jahren nicht benutzt? Hmm, Sie scheinen es nicht zu brauchen.
Beim Wegwerfen müssen Sie ja nicht nur was hergeben, Sie bekommen ja auch was im Gegenzug: Platz, Ordnung, freie Flächen - das befriedigende Gefühl, sich nicht mehr mit etwas zu belasten, was Ihnen nichts mehr nützt.
Besitz besetzt. Prüfen Sie, was es wert ist, dass es Platz in Ihrem Leben hat.
Und was fällt Ihnen noch ein, was Sie aufheben - und eigentlich nicht mehr brauchen?Fasten - also der Verzicht auf lieb gewonnene Gewohnheiten kann wie eine Meditation wirken. Denn Sie begegnen dabei vor allem sich selbst.
Im Lauf des Lebens schaffen wir uns viele Dinge an, die unsere Identität stützen sollen.
Autos, Smartphones, Bücher, Statussymbole, elektronischen Schnickschnack, angenehme und unangenehme Gewohnheiten, Meinungen und Einstellungen usw.
Wenn Sie ausprobieren, das eine oder andere mal wegzulassen, erleben Sie, was von Ihnen übrig bleibt. Ich kann es Ihnen verraten: nichts.
Das ist vielleicht erst einmal beunruhigend. Aber wenn Sie das eine Weile aushalten, wartet etwas Großes auf Sie: eine enorme Freiheit. Denn wenn nichts eine Bedeutung hat, wenn es nichts gibt, das Sie wirklich sind und wenn es nichts gibt, an das Sie sich klammern müssen - dann können Sie auch alles tun.
Das ist Ihnen alles zu hoch?
Verstehe ich gut. Dann habe ich einen letzten Verzichtstipp für Sie: Verzichten Sie einfach auf das Verzichten. Das werden Sie doch noch schaffen.
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