Kaum einer Berufsgruppe haften so viele Klischees an wie den Schriftstellern. Aber sind wir denn nun empfindlich, gleichgültig und scheu? Oder draufgängerisch, lebensfroh und versoffen?
Die Klischees über Schriftsteller sind so vielfältig wie absurd. Höchste Zeit, sich einen kleinen Überblick über die gängigsten von ihnen zu verschaffen.
1. Der Säufer
Immer an der (Schnaps-)Flasche, der erste und der letzte Gast in der Kneipe und ständig auf Pegel: So kennt man Schriftsteller spätestens seit Charles Bukowski, der nicht nur seine Hauptfiguren gern im Fusel ersaufen lässt.
Der Säufer verpennt Jobs und legt eine LMA-Haltung an den Tag. Ein ebenso aktuelles wie popkulturelles Beispiel für diesen Autoren-Archetypus finden wir in der Figur des Hank Moody, gespielt von David Duchovny in der Serie Californication.
2. Der brave Frühaufsteher
Sie sind das Vorbild eines jeden Strebers: Die ganz ambitionierten Morgenstund-hat-Gold-im-Mund-Prediger, die schon vor dem ersten Vogelgesang den Laptop einschalten und ihre Romane mit der 10-Finger-Technik in die Tasten hämmern, um im Anschluss gewissenhaft ihrem Broterwerb nachzugehen.
Ein sehr bekannter Frühaufsteher ist John Grisham, der seine Wälzer konsequent auf diese Art und Weise herunter geschrieben hat. Nicht unbedingt die schlechteste Strategie, wenn Sie mich fragen. Denn mit der schaffen Sie wirklich eine Menge, selbst wenn Sie voll berufstätig sind.
3. Der Querschläger
Der Querschläger überschneidet sich in seinem Habitus häufig mit dem Säufer: Wild, kontrovers und jenseits jeder bürgerlichen Norm schreibt er seine Textfetzen runter, scheißegal, was andere von ihm halten oder denken. Der Querschläger ist eine Sehnsuchtsfigur, da er wie ein trotziges Kind auf alles pfeifen und manchmal sogar davon leben kann. Der Querschläger ist ein Schriftsteller mit Ecken und Kanten, der immer wieder aufs Neue betont, wie eckig und kantig er doch ist.
Der Querschläger ist so revolutionär, dass Che Guevera neben ihm wie ein zurechtgekämmter Internatsschüler wirkt, so verdammt systemkritisch, dass radikale Blockupy-Anhänger dagegen wie brave Muttersöhnchen erscheinen. Ein Autor der Sorte Querschläger ist schlicht und ergreifend die Quintessenz der Individualität, ein mutiger Rebell, der das Rebellische meistens ausgezeichnet zu vermarkten weiß.
4. Der Intellektuelle
Ernst, mit buschigen Augenbrauen und einer qualmenden Pfeife in der Hand, sämtliche Lebensweisheiten abrufbereit in einem Blick gebündelt. Jedes Wort aus seinem Mund ist eine tonnenschwere Verdichtung gesammelter Beobachtungen, jeder Satz ein Aphorismus, der die Jahrhunderte überdauern und in die Köpfe und Herzen nachfolgender, devoter Dichter und Denker eingehen wird.
Der Intellektuelle versteht sich ähnlich wie der Säufer und der Querschläger als eine gesellschaftliche Randfigur. Anders als die beiden erwähnten Gruppen jedoch begreift sich der Intellektuelle als übergeordnete moralische Instanz, der eben nicht alles egal ist, ganz im Gegenteil. Zu passenden Anlässen, oder wenn es aus PR-strategischer Sicht wieder einmal nötig ist, gibt der Intellektuelle in der Öffentlichkeit eine polarisierende Anekdote zum Besten.
5. Das scheue Rehkitz
Der Nerd unter den Schriftstellern: Zurückgezogen, dünn und blass, hockt er in seinem Kämmerlein und schüttet seinen Weltschmerz in mehrseitigen Schachtelsätzen aus, die sowieso niemand lesen wird. Jedenfalls ist das die feste Überzeugung dieses wandelnden Schriftsteller-Klischees.
Natürlich muss er/sie trotzdem schreiben, einfach, weil der gesamte Schmerz eines ungelebten Lebens aus der Seele auf den Schreibtisch tritt und von dort aus seinen Weg auf das Papier antritt. Das scheue Rehkitz hat weder Partner noch Freunde. Nur seine Familie hält, sofern sie sich nicht abgewendet hat, Kontakt mit ihm.
Doch dann, wenn es unter der Erde liegt, widerfährt dem scheuen Rehkitz eine weitaus größere Tragik als zu Lebzeiten: Dann, Jahre später, werden seine Werke berühmt, wird seine Genialität gefeiert und in den folgenden Jahrhunderten zur Pflichtlektüre an Schulen erklärt.
Dann werden Literaturwissenschaftler ihr Geld damit verdienen, tiefgründige und komplexe Arbeiten über seine Werke zu schreiben, Stiftungen und Kulturvereine werden nach dem scheuen, doch längst mausetoten Rehkitz benannt und alle Welt wird Hymnen auf dessen Virtuosität singen, die wie ein ewig gleicher Abgesang klingen.
6. Der “Schriftsteller über Nacht”
Dieser Schriftsteller hatte zufällig, über Nacht und so ganz nebenbei versteht sich, eine Eingebung und schrieb einfach mal so runter, was er/sie dachte. Natürlich ist es purer Zufall, dass das Manuskript binnen weniger Wochen komplett lektoriert, gebunden und in hoher Auflage mit massivem Werbeetat verkauft wird. Das Schicksal wollte es einfach so.
Genauso zufällig ist auch die Biographie, die bei genauerem Hinsehen sehr wohl offenbart, dass der Autor jahrelang für den Erfolg geackert hat. Doch passen harte Arbeit und der Traum vom zufälligen Glück nicht in jede PR-Strategie, weshalb der Schriftsteller über Nacht, dem Ruhm, Reichtum und die Herzen zufliegen, ein immer wieder gern bemühtes Klischee ist.
Schriftsteller sind…
herrlich verschieden! Auch wenn es eine Menge Klischees gibt, wissen doch die meisten Leser und Autoren, dass die Realität anders aussieht. Es ist dennoch erstaunlich, wie populär und zum Teil anhaltend diese Klischees in Filmen und Büchern verwendet werden. Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass der Schriftsteller bzw. die Schriftstellerin eine Arbeit ausübt, die zuweilen tief in die Seele der Menschen eintaucht, ohne selbst zu viel von sich preiszugeben.
Illustrationen: Maria John Artwork