Vor fünf Jahren: Mobilfunk-Discounter sind angesagt. Tchibo ist gestartet, Simyo sorgt für Aufregung und auf einmal sehen alle nur noch Blau.
- Die drei Gründer von Blau
Blau, so haben Forscher herausgefunden ist die Lieblingsfarbe der Deutschen. Blau steht für Zuversicht, Dynamik und Mut, warum also nicht für Mobilfunk?
Das Team aus Martin Ostermayer, Thorsten Rehling und Dirk Freise schafft es, die Internet-Domain blau.de zu registrieren. Sie schließen einen MVNO-Vertrag mit E-Plus ab. Weil man für so ein Projekt viel Geld braucht, helfen ihnen Neuhaus Partners (bekannt durch seine Computer Modems), Heliad Equity Partners und Al-Fawares aus Kuwait, wo der Mobilfunk schon lange boomt.
1999 hatten die drei „handy.de“ gegründet und 2002 an den Bertelsmann Konzern verkauft, der heute als Europas größter Dienstleister im Mobilfunk unter „arvato mobile“ bekannt ist.
2005 nun also Blau.de. Die Fachwelt gibt ihnen wenig Chancen. „Was wollen die denn noch? Was ist denn daran noch neu, haben wir doch schon alles, kennen wir doch schon, brauchen wir nicht…“ so die oft abschätzige Meinung selbst ernannter oder tatsächlicher Spezialisten.
Und zunächst ist Blau nicht mehr als eine gelungene Kopie von Simyo. Gleiche Preise und Tarife. E-Plus achtet streng darauf, daß sich keiner „benachteiligt“ vorkommt, denn das gäbe sofort Ärger und Beschwerden bei der Bundesnetzagentur oder dem Kartellamt.
Blau hat Mut und geht an Tankstellen und in den klassischen Handel, wo Simyo nicht hin darf: Beim Lebensmitteldiscounter um die Ecke und auf der grünen Wiese, wo sich in diesen Mega-Märkten zartbesaitete Gemütern schnell zwischen Millionen von Joghurt-Sorten, Eiscrems, Kaffees, Tees, Waschmittel oder Autozubehör verlaufen können. Überall da hängen auf einmal klarsichtige Blisterpacks mit einer Blau-Handy-SIM-Karte und auf einem Aufkleber steht schon die Rufnummer, die man bekommen wird, da kann man sich in Ruhe eine nette Nummer heraussuchen. Dazu braucht man keine Kassiererin rufen, die entnervt ein anonymes Päckchen aus dem Lager wie bei Aldi holen muß, wo die vergebene Rufnummer erst später bekannt sein wird. Rufnummernportierung ist damals noch Luxus – nur für Vertragskunden.
Blau ist überall, sogar im klassischen Mobilfunkfachhandel. Dort ist man zurückhaltend, weil hohe Provisionen gewohnt, um „Handys für 1 Euro“ verkaufen zu können. Und jetzt diese Karte, wo man fast nichts dran verdient? Na ja, kann man probieren. Und schuwpps: Mancher Kunde kauft im Laden doch noch eine Tasche oder ein Handy zum normalen Preis, dafür kann er ungeahnt günstig mobil telefonieren, bis hin zu den 9 Cent, die lange Jahre ein Ding der Unmöglichkeit schienen.
Blauworld ist 2006 ein weiteres Angebot, für Kunden mit vielen Kontakten im Ausland. Erstmals sind Anrufe von Deutschland per Handy mit Ziel Ausland bezahlbarer geworden. Dafür kosten Anrufe im Inland etwas mehr. Und ein Tarifwechsel vom Blau zu Blauworld oder zurück geht … wir ahnen es schon … natürlich nicht. „Bitte kaufen Sie doch eine neue Karte mit neuer Rufnummer!“ Verstehen muß man das nicht, es sei denn, man kennt die „antike“ IT-Plattform von E-Plus, die nicht sonderlich flexibel ist.
Es wird noch verrückter: Blauworld kann mit Original E-Plus-Rubbel-Codes aufgeladen werden, Blau.de aber nicht. Für blau.de braucht man eigene Codes, die es nur bei Blau und den mit Blau vertraglich verbundenen Verkaufsstellen gibt. Und das sind, man glaubt es kaum, mehr als man denkt. Denn Blau hat schnell Kontakt zu den wichtigsten Vertriebsunternehmen wie „Lekkerland“ aufgenommen, als einer der ersten gibt es … fast logisch, die Codes an den blauen Tankstellen von „Aral“, die übrigens, wenige wissen das, zum grün-gelben BP-Konzern gehören.
2006 die erste Bewährungsprobe: Der Discount-Provider Debitel-Light kommt ins Stolpern. Die von der T-Systems gelieferte IT läuft überhaupt nicht rund, alles hakt und klemmt und auf einmal hilft Blau den Debitel-Discountern aus der Patsche. Da kommt das Angebot: Wollt ihr unsere Kunden und geschalteten Karten nicht einfach ganz haben? Ja, gerne. Die Sache läuft geräuschlos ab. Debitel-Light-Kunden sind auf einmal Blau Kunden, können „intern“ zu wesentlich mehr Leuten als vorher telefonieren. Da verschmerzt man auch die Unmöglichkeit eines SIM-Karten-Tausches, etwa um UMTS nutzen zu können. Die Masse will doch eh nur telefonieren.
2007 schließt Blau „Branded Reseller-Partnerschaften“ mit bekannten Unternehmen wie „Plus“ (Lebensmittel) oder Printus (Büroartikel)“ ab. Blau tritt hier quasi als Service-Provider für eine bestimmte Kundengruppe auf, die eigene Karten mit eigenem Logo und eigenen Tarifen erhält, diese neuen Kunden können nicht mit bestehenden „Blau.de“ Kunden zu „blau-internen“ Tarifen telefonieren.
Das Unternehmen läuft so gut, daß blau.de im April 2008 vom niederländischen E-Plus-Mutterkonzern KPN übernommen wird. Die Kernmarken „blau.de“ und „blauworld“ bleiben erhalten und die
Geschäftsführer führen das Unternehmen unverändert aus Hamburg fort.
2008 erreicht die ankommende Rufnummernportierung auch Blau und kurz danach taucht Blau sogar in Spanien auf – mit Tarifen, die den etablierten Anbietern dort das Fürchten lehren. Deutsche Kunden, die eine günstige Karte für den Urlaub suchen, können diese aber hierzulande offiziell nicht ordern. Dem stehen lokale spanische Vorschriften im Weg.
Eine Werbekampagange mit zwei lustigen Strumpf-Männchen, die es bis heute nirgends zu kaufen gibt, kommt an. Weitere PR-Aktionen kratzen sogar das „innovative“ Image der „Schwester“ Simyo an.
Die Stiftung Warentest vergleicht über 1000 Handytarife und bewertet blau als „günstigstes Angebot für Kaum-, Wenig-, Normal- und Vieltelefonierer“, was zumindest überrascht, da Simyo in den entscheidenden Punkten exakt die gleichen Preise wie Simyo hat:
Blau.de und Simyo bietet ihren „Einheitstarif“ zu 9 Cent/Minute und SMS in alle deutschen Netze im Minutentakt. Eine Grundgebühr fällt nicht an, die Mailboxabfrage ist kostenlos. Einen „Mindestumsatz“ gibt es im Prinzip nicht, nur sollte das Guthaben binnen eines Jahres vertelefoniert werden, sonst müßte man sich nach Deaktivieren der Karte das Restguthaben auszahlen lassen.
Der „Klassik-Tarif“ von Blau und Simyo verfügt über einen Community-Preis von 5 Cent für alle netzinternen Gespräche, 15 Cent für Telefonate in alle anderen deutschen Netze, 10 Cent pro Inlands-SMS sowie der optional zubuchbaren Handy-Flatrate all jenen Kunden eine Alternative zum Einheitstarif, die vorrangig mit anderen blau.de-Kunden telefonieren wollen.
Bei Daten ist Blau derzeit wesentlich flexibler als Simyo. Für mobiles Surfen im Internet berechnen Blau und Simyo 24 Cent pro Megabyte in fairer 10 KB-Taktung. Seit Februar 2008 bietet Blau eine optional zubuchbare Daten-Flatrate für an: Für 19,80 Euro können alle Nutzer des Einheitstarifs 30 Tage unbegrenzt das Mobile Internet nutzen. Für 3,90 Euro gibt es ein Datenpaket von 100 MB, nur bei Blau. Bei Simyo gibt es das nicht, da bleibt den Kunden nur die Buchung des 1 GB Paketes für 9,95 Euro.
Wo soviel Licht ist, ist auch Schatten: Die Blau-Hotline wird im Endeffekt vom gleichen Unternehmen wie bei Simyo organisiert und wenn Kunden kompliziertere Probleme haben, müssen sie die Kunst beherrschen, der Hotline das Problem so zu vermitteln, daß sie es a) versteht und b) lösen kann, Sachen, die ausserhalb der Norm liegen, werden schnell kompliziert oder dauern einfach länger.
Daß man für blau.de SIM-Karten eigene spezielle Rubbelcodes braucht und die Codes der Mutter E-Plus nicht gehen, kann lästig werden, vielleicht wäre eine „automatische“ Aufladung per Bankkonto oder Kreditkarte zu empfehlen. A propops Kreditkarte: Als vermutlich bislang einziger Mobilfunkanbieter bekommt bei Blauworld sogar eine Kreditkarte und zwar „prepaid“.
Wenn Blau so kreativ weitermacht, würde es mich nicht wundern, wenn sie eines Tages auch Simyo beiläufig „übernehmen“. Im nach wie vor übersättigten deutschen Mobilfunkmarkt werden nur kreative Anbieter mit guten Ideen und gutem Service überleben können.