Schon zu Beginn des Jahres hatte ich eine Empfehlung meiner Kollegin bekommen, ich solle es mal mit der kanadischen Autorin Jocelyne Saucier versuchen. Niemals ohne sie ist ihr zweiter ins Deutsche übersetzter Roman und handelt von einer Großfamilie, die ihrem Leben den Minen gewidmet hat. Die Kinder wachsen wild auf, spielen, raufen und machen, was ihnen gefällt. Doch eine von ihnen ist anders als sie, möchte mehr und eckt dabei gewaltig bei ihren Geschwister an.Das Buch beinhaltet eine dramatische Familiengeschichte, die ihre zerstörerische Energie erst auf den letzten Seiten entlädt und mich damit sehr hart traf. Ich verlor mein Herz an die wilde Kinderbande und freue mich sehr, ihre doch eher unbekannte Geschichte nun endlich empfehlen zu dürfen.
Hanya Yanagihara hat erst zwei Romane geschrieben und dennoch weiß ich bereits jetzt, dass ich mich über jede neue Veröffentlichung von ihr freuen werde. Diese Frau schreibt so dermaßen gut – so tabulos und schmerzhaft – dass ich sie gern allen Leser*innen da draußen empfehlen würde, wenn ich nicht wüsste, dass sich bei den meisten von ihnen die Nackenhaare aufstellen würden bei solch harter Lektüre. Zwei Kolleginnen von mir fanden Ein wenig Leben zwar wesentlich besser als Das Volk der Bäume – und auch ich muss sagen, dass ich, wenn ich mich entscheiden müsste, die Geschichte über Jude, Willem & Co. bevorzugen würde – aber ich war unglaublich fasziniert von den einnehmenden Naturbeschreibungen und dem unsympathischen Protagonisten. Eine umfangreichere Besprechung dazu findet ihr übrigens hier.
2019 war lesetechnisch auch ein Jahr außerhalb meiner Komfortzone. Ein Beweisbuch dafür war ganz klar Dort Dort von Tommy Orange, was mich nachhaltig beeindruckt und bereichert hat. Der Autor erzählt darin aus verschiedenen Perspektiven die Vorbereitung für ein jährlich stattfindendes Treffen der Native Americans. Ich las über Alkoholsucht, Entfremdung und verlorene Wurzeln, über Depressionen, Selbstmord und Wut. All das steckt in diesen knapp 300 Seiten, die mir plötzlich eine Verbindung zu einer Menschengruppe verschafften, mit der ich mich bisher nur oberflächlich beschäftigt hatte.
Kein Jahr sollte ohne feministische Literatur zu Ende gehen, von deren Vertreterinnen ich 2019 ein paar eindrucksvolle Bücher lesen durfte. Das Beste von ihnen war für mich Miroloi von Karen Köhler (an dieser Stelle bin ich sehr froh, dass ich auch mal eine deutsche Autorin unter meinen Favoriten habe). Das Buch stand auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, schaffte es aber leider nicht auf die Shortlist, was ich sehr bedauerte. Erzählt wird darin die Geschichte einer jungen namenlosen Frau, die sich gegen das Patriarchat ihrer Heimatinsel auflehnt, indem sie Lesen und Schreiben lernt, andere Frauen aus misslichen Situationen befreit und ihre Stimme erhebt. Damit haben sowohl Protagonistin als auch die ganze Thematik einen Nerv bei mir getroffen, wie es so viele ähnliche Bücher vor ihnen auch erreichen konnten.
Beim Schreiben der kleinen Texte unter jedem meiner Highlights fällt mir auf, dass jedes von ihnen mir in irgendeiner Art und Weise das Herz gebrochen hat. Diesen Ausdruck verwende ich immer dann, wenn ein Buch durch ein darin beschriebenes negatives Ereignis etwas in mir ausgelöst hat. Bei Fuchs 8 war das eine sehr plötzliche, für den Protagonisten (der namensgebende Fuchs 8) desillusionierende Wendung, die man als Leserin zwar kommen sieht, dann aber mit solch einer Grausamkeit eintritt, dass ich heulend vorm Buch saß und mich bei Beendigung der Lektüre völlig zerstört fühlte. Keine Angst, diese Gefühle werden sicherlich nicht bei jedem in diesem Maße auftreten, klar ist aber, dass die Geschichte um den sprechenden/schreibenden Fuchs, der die Menschen liebt, aber immer mehr an ihrer Gutmütigkeit zweifeln muss, zum Nachdenken anregen soll und besonders tierliebe Leser*innen sicherlich traurig stimmt. Eine längere Besprechung dazu findet ihr hier.
Das vergangene Jahr war für mich privat ein sehr schmerzhaftes (buchstäblich), da ich lange (seit April) mit unerklärlichen Schmerzen herumlief, die mich fast in den Wahnsinn trieben. Ich konnte eine ganze Zeit lang nicht lesen, weil es mir mental unmöglich war. Erst seit Herbstanfang durfte mein Körper wieder aufatmen, da ich endlich die richtigen Medikamente bekam. Trotz dieser belastenden Monate habe ich es geschafft, meinen Masterabschluss zu machen, einen Job zu finden und die Liebe zur Literatur neu zu entdecken. Auch ein Leseclub wurde wieder ins Leben gerufen, auf dessen Treffen ich mich immer sehr freue. Drückt mir die Daumen, dass es bei mir gesundheitlich wieder bergauf geht.