48. Stück: “Die Arena” (Under The Dome) von Stephen King – Ein Interpretationsfragment

Normalerweise mag ich es nicht, wenn in einer Geschichte eine übernatürliche Erklärung für seltsame Begebenheiten herhalten muss. Oder überhaupt eine eindeutige Auflösung für beunruhigende Ereignisse präsentiert wird. Damit haben die Macher von “Lost” ja bereits eine ganze, vielversprechende Serie komplett versaut. Ich fühle mich als Zuschauer/Leser/Rezipient einfach total verarscht, wenn ich über einen längeren Zeitraum hinweg mitfiebere, mir Hypothesen überlege und am Ende heißt es entweder “Ätsch, alles nur geträumt!” oder “Ätsch, es waren Außerirdische/höhere Mächte/Gott”.

Deswegen mag ich normalerweise auch keine Romane von Stephen King, da man sich da quasi drauf verlassen kann, dass es irgendeine übernatürliche Erklärung für alles gibt. Oder dass irgendwann Geister, Außerirdische, Zombies, Dämonen, Flüche und sonstiges Ungemach auftritt und die ganze spannende Handlung mit einem Klacks restlos erklärt. Ich bin da eher ein Freund des Unheimlichen, das heißt, ich find das spannender, wenn merkwürdige Begebenheiten nicht eindeutig erklärt werden und es offen bleibt, ob übernatürliche Mächte dahinter stecken oder ob sich die betreffenden Personen alles nur eingebildet haben.

Nun hat mich Stephen King jedoch trotz übernatürlicher Erklärung in seinem Roman Die Arena (Under The Dome) vor Spannung so gefesselt, dass ich den über 1270 Seiten langen Klopper in weniger als drei Wochen verschlungen habe. Ich glaube, das liegt daran, dass das ‘Warum’ in Die Arena vollkommen nebensächlich ist. Vergleichbar mit dem ‘McGuffin’ in einem Film von Alfred Hitchcock. Dabei handelt es sich um irgendein Ding, das zwar die ganze Handlung auslöst und begründet, im Prinzip aber auch durch irgendetwas anderes ersetzt werden könnte, ohne dass sich an der Handlung und der Spannung des Films etwas ändert. Ob das Geheimdokumente sind, ein gestohlenes Kunstwerk oder eine spezielle Waffe ist dabei nicht so wichtig. Sondern was mit den Figuren deswegen passiert.

So ist das auch bei Die Arena: Ob nun die Regierung in einem grausamen Experiment die Kleinstadt Chester’s Mill unter eine riesige Käseglocke einsperrt, ob das spielende Außerirdische sind oder ob das eine Strafe Gottes ist oder einfach nur Zufall oder Einbildung – nach dem Motto “Die Kuppel existiert nur in unseren Köpfen” – ist nebensächlich. Die Spannung im Roman hängt nicht vom ‘Warum’ oder ‘Wozu’ ab, sondern vom ‘Wie’ und vom ‘Was’.

Deswegen erlaube ich mir mal den kleinen Spoiler und verrate, woher die Kuppel kommt, die die Kleinstadt von der Außenwelt abschneidet. Tatsächlich sind es außerirdische Kinder, von den Bewohnern Chester’s Mills Lederköpfe genannt, die das Ganze als Spiel betrachten, so wie Ameisenfarmen für Menschen. Sie befinden sich in einer anderen Galaxie als die Menschen auf der Erde und denken, was sie in ihrem Spielkasten sehen, sei nicht real.

Das fand ich hochinteressant, vor allem aus literaturtheoretischer Sicht. Was wäre wenn diese Lederköpfe eine Metapher für die Rolle des Lesers wären und der Kasten, der die Kuppel erzeugt eine Metapher für den Autor? Denn ein Autor macht im Prinzip genau das: Er konstruiert ein abgeschlossenes Universum, einen Mikrokosmos, und wirft verschiedene Figuren mit unterschiedlichen Persönlichkeiten, Motiven, Bedürfnissen, Zielen und Wünschen in eine bestimmte Situation – je existenzieller und lebensbedrohlicher, umso größer die Spannung – zieht diese Konstruktion wie ein Uhrwerk auf und lässt es abschnurren.

Der Leser wiederum nimmt die daraus resultierende Handlung begierig auf, will wissen wie es weitergeht, empfindet eine gewisse ‘Angstlust’ aufgrund der geschilderten Ereignisse und genießt die Spannung, greift jedoch nicht in die Handlung ein, weil er das nicht kann. Schließlich befindet er sich in einem anderen Universum, einer anderen Dimension als die Figuren in der Geschichte.

Die Arena ist allein schon wegen der politischen, gesellschaftskritischen Bezüge zahlreiche Analysen und Interpretationen wert. Und trotz allem bleibt der Roman unterhaltsam. Aber der Aspekt, dass der Leser sich auch nicht anders verhält als die Lederköpfe, bringt noch mal eine andere Facette hinein, die Stephen King nicht beabsichtigt haben muss, die aber trotzdem – zumindest für Literaturnerds – einigen Stoff zum Nachdenken bietet.

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