Warum überhaupt eine Elegie? „[W]as wollen wir von Elegien, außer sie näher / kennenlernen, ihren Kajal umkurven, voller Empathie“, fragt (ohne Fragezeichen) das lyrische Wir, das an wenigen Stellen von einem lyrischen Ich abgelöst wird, das aber ungreifbar bleibt: „Ich, weißt du wer das ist?“
Es scheint Cotten zunächst einmal darum zu gehen, die Tauglichkeit der Form zu prüfen. Rilke, Brecht haben im vergangenen Jahrhundert Elegien geschrieben, vielleicht lässt sich mit der alten Tante ja was anfangen. Cotten wählt einen guten Ansatz, um dem klassischen Modell Leben einzuhauchen: Sie nähert sich ihm ohne Scheu, respektlos, ein bisschen rotzig, sie befragt es, und sie befragt uns, die wir es lesen: „Glaubt ihr, was ich da sage? Kann man euch jeden / letzten Scheiß in diesem angedeuteten Metrum einidrucken?“ (Wobei das österreichische „eini“ für „hinein“ und „drucken“ für „drücken“ steht, der Ausdruck also als „reindrücken“ zu lesen ist.) Einige Verse darunter eine weitere Frage, die einen schrecklichen klaustrophobischen Verdacht formuliert: „Kann man etwa vielleicht nur Fragen stellen in Elegien?“ Wenn die Form so eng ist, muss sie weiter gemacht werden. „Flegeln in Elegien“ wird als Losung ausgegeben.
Ein Charakteristikum der Elegie wird am Schluss des ersten Kapitels benannt: Sie sei „[b]estechend in ihrer Geschwätzigkeit, die sich aus einer Trauer / heraushebt.“ Das Motiv wird im dritten Kapitel aufgegriffen: „Sind wir geschwätzig? Dann lass die Geschwätzigkeit nützen! / Druckerpatrone, sei wie Ambrosia! [...].“ Nun ist Das Pferd nicht gerade ein trauriges Büchlein, es hat Witz (nicht schenkelklopfend, nur unmerklich die Lippen verziehend), und es hat Grips, beiläufig, wie zum Spaß, oder wie um den Spaß nicht zu verderben. (…)
Hingegen spricht aus manchen Versen der Geist der Revolte. So überlegt das lyrische Wir, „was [...] auf die Feuermauern geschrieben gehörte.“ Die Gattungsbezeichnung „Elegie“ wird bald verworfen und durch „Kampfschrift“ ersetzt, das Wort „Revolution“ blitzt auf, „ne heiße Botschaft von Marianne“ wird imaginiert – Marianne, die Freiheitsgestalt, Personifikation der französischen Republik (die berühmteste Darstellung jene von Delacroix, „La liberté guidant le peuple“, 1830 [Die Freiheit führt das Volk an]). Auch die „Locken“ scheinen ihre aufmüpfige Bedeutung zu haben. / Meinolf Reul, lyrikkritik.de über
Ann Cotten, Das Pferd. Elegie. 20 Seiten, geheftet. Mit einer [Umschlag-]Zeichnung der Autorin. SuKuLTuR Verlag, Berlin 2009. 1,00 Euro (Reihe „Schöner Lesen“, Nr. 84). Der Band ist zum Preis von 0,99 Euro auch als E-Book erhältlich.