Thomas Kling, der seine ersten Gedicht-Kassiber in die bundesdeutsche Literaturlandschaft in der Zeit der Neuen Subjektivität schickte, grenzte sich von dieser sich ins Innere und private zurückziehenden Literatur von Anfang an ab. Ihn interessierte vielmehr das Brodelnde und Schäumende an der Sprache, ihre unauflösbare Verschränktheit mit der bundesdeutschen Herkunft und Gegenwart, ihre subversive Komplexität und Mehrschichtigkeit. Auch sprachtechnisch ließ ihn jeglicher damals angesagte Mainstream oder gar Bildungskanon kalt. Kling ließ sich lieber von einem wie Oswald Wolkenstein etwas über Sprache erzählen, der in seinen Texten „bis zu einem halben Dutzend verschiedener Sprachen miteinander komprimiert“ habe. Kling interessierten Konrad Bayer, Jean Paul oder Paul Celan und dessen Interesse an Spracharchäologie. Oder Johann Michael Moscherosch, Quirinus Kuhlmann, Kaspar Stieler, die den „konspirativen, zusammenatmenden Austausch“- so Kling – von Jargon und Slang zu schätzen wussten. Denn hier sprachen die „Hebräischreste, Jiddischreste“, eben „Schattenreste“ noch immer. Alle diese Dichter waren Thomas Kling Brüder im Geiste einer intellektuellen Widerständigkeit und Eigensinnigkeit.
Der aus einer Stadt der Werbeagenturen, wie er selbst sagte, stammende Thomas Kling verwendete auch aus medientechnischer Sicht das „Polylinguale“ und Gleichzeitige der verschiedenen Sprachschichten. Schon allein deshalb müsse man eigentlich, wie er mal forderte, „heute das 1879 ausgestorbene Tasmanisch wieder erfinden“. …
Auf die Frage „Was fehlt mit Thomas Kling?“ antwortet der Herausgeber des aktuellen Schreibhefts, Norbert Wehr: Es fehlt schmerzlich ein Dichter, der so dezidiert wie Kling an historischen Stoffen arbeitete. Es fehlt die Unbedingtheit und Frechheit von einem, der noch immer den Anspruch hatte, Avantgarde zu sein. Der an der Entwicklung von Dichtung und Sprache arbeitete. Der stets versuchte, die Mittel zu reflektieren und an einer bestimmten Tradition weiterzuarbeiten. Jemand wie Kling, der all das dezidiert tat, überzeugend. Bei vielen Autoren der Nachfolgegeneration sehe Wehr große Intelligenz und Begabungen. Aber er wisse oft nicht, warum sie schreiben und was sie umtreibe – ihm seien ihre Stoffe fremd. Doch einer wie Kling, der als Nachkriegskind immer an historischen Stoffen und Motiven brennend interessiert war – eine solch vergleichbare Option ist nicht zu entdecken.
Bei vielen Autoren fehle ganz einfach der Geschmack im Mund – und den hatte der Kling. / Cornelia Jentzsch, DLF
76. Ausgabe von „Schreibheft. Zeitschrift für Literatur“
„Das brennende Archiv“. Bislang Unveröffentlichtes oder zu Lebzeiten des Lyrikers Thomas Kling nur entlegen Publiziertes
Dieses Thomas Kling gewidmete Schreibheft wird im Suhrkamp-Verlag 2012 als Taschenbuch erscheinen