Denn wer bei diesen »Schneegedichten« zuerst an die klassische Berieselungslyrik des Goethe-Rilke-Hesse-Triumvirats denkt, der irrt. Ron Winkler, der sich bereits mehrmals als Anthologist der Gegenwartslyrik betätigt hat – man denke zum Beispiel an das grandiose »Neubuch« – legt bei seiner Auswahl keinen Wert auf Kaminfeuerästhetik.
Nicht umsonst stellt er Jakob van Hoddis’ »Tristitia ante…« an den Anfang: »Ich hasse fast die helle Brunst der Städte.« heißt es da. Dankenswerterweise zieht sich verschwindend wenig verkitschtes Weihnachstum durch den gesamten Band. Die Anthologie beißt sich nicht an einem Stil fest, sondern stellt verschiedene Perspektiven nebeneinander, versammelt natürlich viel Schönes, einiges Melancholisches, aber auch sehr Abstraktes, Steriles, sogar Häßliches. Die Autorinnen und Autoren deklinieren den Schnee durch, frei nach Rolf Dieter Brinkmanns Worten »Schnee: wer / Dieses Wort zu Ende / Denken könnte / Bis dahin / Wo es sich auflöst« bis hin zu den »reproduktionen von schnee«, von denen Daniela Seel spricht. …
Die »Schneegedichte« haben Ganzjahresqualitäten. Kann man sich nach Weihnachten auch sich selber schenken. / Kristoffer Cornils, junge Welt
Ron Winkler (Hrsg.): Schneegedichte. Schöffling & Co, Frankfurt am Main 2011, 208 Seiten, 14,95 Euro