4.100 v. Ztr. - "Tertiäre Neolithisierung" im Alpen-, Ostsee-, Nordsee- und Nordschwarzmeer-Raum

Von Ingo Bading @ingo_34

Der derzeit "meistgelesene Artikel" der "Prähistorischen Zeitschrift"

Abb. 1.: W. Schier, geb. 1957

Es ist der derzeit "meistgelesene Artikel" auf der Internetseite der "Prähistorische Zeitschrift" (1). Ein Aufsatz aus dem Jahr 2009 über die "tertiäre Neolithisierung" Europas um 4.100 v. Ztr.. Verfaßt von dem Berliner Archäologen Wolfram Schier (s. Abb. 1). Also darüber, wie sich die seßhafte, landwirtschaftliche Lebensweise in Europa ausbreitete vor sechstausend Jahren in einem dritten "Schub". Nach dem primären im Balkanraum und an den Meeresküsten (um 6.500 v. Ztr.) und nach dem sekundären des mitteleuropäischen Binnenlandes (Linearbandkeramik, um 5.700 v. Ztr.). Der Aufsatz gibt einen umfassenden und zugleich detailscharfen Überblick über die Thematik. Er ersetzt die Vorstellung einer stetig und allmählich fortschreitenden "Wave of Advance"-Neolithisierung Europas durch das viel wirklichkeitsnähere Modell der "arythmischen" Neolithisierung.
Aber nicht nur das: Er gibt tiefreichende Einblicke in die aktuelle Forschungsdebatte zur noch keineswegs gut geklärten Ausbreitung der neolithischen Lebensweise um 4.300 /4.100 v. Ztr (s.a.: 2, 3). Und zwar nicht nur im nordwestlichen Vor- und Alpenraum, sondern auch zeitgleich im Ostseeraum. (Übrigens vollzog sich diese Ausbreitung zeitgleich ebenso in England und auch im Nordschwarzmeergebiet.)
Und nicht nur das. Er macht zusätzlich noch bekannt mit Versuchen im Rahmen der "experimentellen Archäologie" dahingehend, wie Rodungsbauern gearbeitet haben könnten (4, 5). Denn Neolithisierung heißt ja in Mitteleuropa zunächst einmal immer: Rodung, Urbarmachung von Wald. Das war noch bis weit ins Hochmittelalter so.
Nachdem die Aufklärung der "sekundären Neolithisierung" (um 5.700 v. Ztr.) gerade in den letzten zehn bis zwanzig Jahren über die Bandkeramik-Forschung wesentliche Fortschritte gemacht hatte, steht in der Tat die Klärung der Fortsetzung dieser Entwicklung (um 4.100 v. Ztr.) aus. Auch hier auf dem Blog ist dazu im selben Jahr 2009 ein Beitrag verfaßt worden (2). Diese Fortsetzung wird möglicherweise von Schier sehr treffend die "tertiäre Neolithisierung" Europas genannt. Im Kern postuliert Schier als einen wesentlichen neuen Charakterzug der "tertiären Neolithisierung" den Brand(rodungs)feldbau. Selbst wenn sich die Bedeutung desselben in der künftigen Forschung noch deutlich relativieren sollte, da die Hinweise auf ihn in sich noch nicht sehr widerspruchsfrei sind, ist doch schon gut absehbar, daß in jedem Fall die übrigen Ausführungen dieses Aufsatzes von Schier relevant bleiben werden.
Multikulti- und Globalisierungs-Ideologien hemmen den wissenschaftlichen Fortschritt
Denn schon vor 15 Jahren war erkennbar, daß das theoretische Modell einer sich mit steter Regelmäßigkeit weiter geographisch ausbreitenden seßhaften, ackerbau-treibenden Lebensweise, wie sie von manchen Forschern -  sozusagen "vom grünen Tisch aus" - angenommen worden war, nicht mit den archäologischen Daten übereinstimmt. (- Damals übrigens gar nicht einmal besonderes popularisiert durch die Archäologen, sondern vor allem durch einige Humangenetiker. Diesen wird ja besondere ideologische Stromlinienförmigkeit abverlangt, bzw. diese verlangen sie sich selbst ab - mit immer weider zu beobachtenden ungünstigen Rückwirkungen auf die längerfristige Gültigkeit ihrer Forschungsergebnisse. - Luigi Luca Cavalli-Sforza, seligen Angedenkens ... Da aber wohl in wenigen Bereichen der heutigen Wissenschaft die Entwicklungen so stürmisch sind wie in der Genetik, widerlegen sich die Genetiker immer schon nach wenigen Jahren wieder selbst! ;-) )
- Und deshalb ist heute ziemlich klar übersehbar: Nein, Kultur, Lebensweise und Sprache breiten sich nicht bloß oder vorwiegend "diffundierend", passiv im Fluß der Geschichte treibend entlang geographischer Gradienten aus. Auch Gene breiten sich nicht bloß oder vorwiegend "diffundierend" individual-selektionistisch-passiv im Fluß der Geschichte treibend entlang geographischer Gradienten aus. Sondern Völker, Ethnien sind die Subjekte der Humanevolution und der Weltgeschichte. Ihr aktives und selbstverantwortliches Handeln hat den Ablauf beider bis heute bestimmt. - Das Volk ist zwar auch Subjekt des Grundgesetzes und vieler anderer Verfassungen auf der Welt. Und es ist noch von Charles de Gaulle ins Zentrum der Gestaltung Europas gestellt worden ("Europa der Vaterländer"). Aber heute ist Multikulti und bedingungslose, auch humangenetische Globalisierung Trumpf. Nur sie allein sind bedingungslos human. Alles andere ist inhuman und unmoralisch.
Deshalb "muß" - in einem sagenhaften umgekehrten naturalistischen Fehlschluß - auch in der Evolution und in der Weltgeschichte alles nach dem globalistischen, "diffundierenden" Multikulti-Modell geschehen sein. - Die ganze Sache hat nur - wie übrigens auch manches in der Wissenschaft im Stalinismus - einen Haken: Tatsachen. Eigentlich wohin man auch blickt, sprechen die Tatsachen dagegen. Und wir haben hier auf dem Blog schon sehr häufig darauf hingewiesen. Nun also auch Wolfram Schier.
Demographie gestaltet die Weltgeschichte
Und darauf hatten wir auch schon sehr häufig hier auf dem Blog hingewiesen: Nicht der Ackerbau selbst - und an sich - hat sich ausgebreitet, sondern neue Kulturen bilden sich jeweils am Rande der jeweils schon neolithisierten Kulturen aus, bilden über Individual- und Gruppenselektion eine völlig neue Kombination von gegenseitig aneiander angepaßten kulturellen und genetischen Merkmalen aus (Verdauungs-, Verhaltens- und Intelligenzgene und jeweils dazu passende kulturelle Merkmale und Verhaltensweisen). Und sie breiten sich dann - jeweils "aus sich selbst heraus" - über weite geographische Regionen hinweg aus. Oft unter Zurückdrängung der zuvor hier einheimischen Bevölkerungen. Und zwar schon allein aufgrund ihrer jeweils höheren Siedlungsdichte. Und all das geschieht - ganz offensichtlich - in aller Regel über nichts anderes als über: "Demographie". So ähnlich sieht das - neben vielen anderen - ungefähr auch die britische Evolutionäre Demographin Ruth Mace.
Als würden einen auch nur allein die letzten 200 Jahre Weltgeschichte irgendeines anderen belehren: Nordamerika!, Südamerika!, Australien!, Sibirien!, Südafrika! etc. pp. pp.. Wo die Europäer sich nicht demographisch ausbreiteten, setzte sich die moderne Industriegesellschaft auch nicht so klar und deutlich durch. Die "Erste Welt" ist einfach die Welt jener, die genetisch von Europäern abstammen. So einfach ist das. Kennzeichnenderweise abgesehen von den ostasiatischen Kulturen, die sich jedoch im Vergleich mit den Europäern nur vergleichsweise bescheiden über ihre eigenen historischen Grenzen hinaus ausgebreitet haben.
Mache dein Volk so zahlreich wie es "der Sand am Meer" ist
Und nicht nur die Humangenetiker und Evolutionären Demographen kommen allmählich auf diesen Trichter. Sondern auch nach Ausweis der Archäologie vollzog sich die Ausbreitung des Ackerbaus "etappenweise", "arhythmisch". Diese Sichtweise setzt sich nun endlich auch, zumindest was die Neolithisierung des  europäischen Bereiches betrifft, in der Wissenschaft - mit etwa 15-jähriger Verzögerung - durch (illustriert durch Abbildung 2). Der eingangs genannte derzeit "meistgelesene Artikel" (- aus dem Jahr 2009) schreibt:

(...) Dabei zeigt die differenzierte Betrachtung ein anderes Bild, das von J. Guilaine jüngst als „arythmisches“ Modell bezeichnet wurde und in dem Phasen schneller Ausbreitung mit Stagnationsphasen wechseln, wodurch regionale „Stillstandslinien“ im Neolithisierungsprozess entstehen. (...)

Und zur Erläuterung wird dann die auch hier wiedergegebene Abbildung 2 gebracht.

Abb. 2: Ausbreitung der neolithischen Wirtschaftsweise (8.500 bis 3.900 v. Ztr.)
Aus der Erläuterung dieser Abbildung 2 durch Wolfram Schier seien nur einige der wesentlichsten Passagen herausgegriffen:

(...) Entgegen dem Wave-of-Advance-Modell schreitet der Neolithisierungsprozess in der ersten Hälfte des 6. Jahrtausends in Südost- und Mitteleuropa nicht erkennbar weiter voran. Erst gegen 5600–5500 calBC kommt es im nördlichen Transdanubien und wahrscheinlich auch im oberen Theissgebiet zur Herausbildung der ältesten (westlichen) Linearbandkeramik respektive der frühen Alföld-Linearkeramik, der eine erstaunlich rasche Ausbreitung bis an den Rhein sowie die Lössgrenze nördlich der Mittelgebirgszone folgt. (...)

Diese "erstaunlich rasche Ausbreitung", auch das war schon vor 15 Jahren erkennbar, muß auf einem imensen Kinderreichtum beruht haben. Man kann sich das etwa so vorstellen, wie bei den ausgesprochen kinderreichen deutschen Rodungsbauern in Wolhynien im 19. Jahrhundert. Oder - unter moderateren wirtschaftlichen Verhältnissen - bei der religiösen Gruppierung der Hutterer in Nordamerika heute (demographische Verdoppelung alle 25 Jahre!).
Außerdem wurde sie möglich dadurch, daß neue Siedlungsstellen jeweils sehr weit von der alten Siedlungsstelle entfernt im mitteleuropäischen Urwald angelegt worden sind und der Zwischenraum (etwa 30 Kilometer) dann erst in späteren Generationen "aufgesiedelt" worden ist. Diese Vorgehensweise scheint sehr zielbewußt und systematisch betrieben worden zu sein und man könnte vermuten, daß sich diese ersten mitteleuropäischen Bauern im Dienste einer bewußten (religiös motivierten?) "Mission" empfanden, nämlich - offenbar: Wald urbar zu machen. Oder auch: Ihr Volk groß und zahlreich zu machen. ("Wie Sand am Meer," spricht sich eine noch heute sehr lebendige religiös-ethnozentrische Einstellung - etwa in der Bibel - aus. Diese Einstellung übrigens leitete auch die Rodungsbauern in Wolhynien und leitet heute noch die Hutterer.)


Betrifft das Thema "tertiäre Neolithisierung" nicht auch das Thema "Ethnogenese der Indogermanen"?
Wir erfahren weiter: 

(...) Wenig präsent ist in der rhenozentrisch geprägten deutschsprachigen Bandkeramikforschung die annähernd gleichzeitig stattfindende Ostausbreitung, die vom ältestbandkeramischen Kerngebiet über die Mährische Pforte nach Südpolen und weiter entlang der Nord- und Ostkarpaten bis in die rumänische Moldau, nach Moldavien und in die Westukraine führt, wo die bandkeramischen Gruppen in Nachbarschaft und Kontakt zur Bug-Dniestr-Kultur stehen.

Diese Entwicklung ist unter anderem auch deshalb so wesentlich, weil hierdurch die Neolithisierung in jenen Bereich getragen wurde, in dem knapp tausend Jahre später das Ursprungsgebiet des weltgeschichtlich bis heute so bedeutsam gebliebenen Volkes der Indogermanen vermutet wird. Es würde wohl nicht ganz falsch sein, auch die Ethnogese der Indogermanen in der nordpontischen Steppe in das von Wolfram Schier entworfene Bild von der "tertiären Neolithisierung" mit hineinzunehmen. Die urindogermanische Sprache kennt nach Ausweis der Sprachforschung den Ackerbau, wenn auch Viehzucht dominierend ist. Wolfram Schier schreibt dann weiter:

(...) Was folgt, ist die eigentlich erstaunlichste Etappe im mitteleuropäischen Neolithisierungsprozess: Zwischen etwa 5100 und 4400 calBC, also über einen Zeitraum von rund sieben Jahrhunderten oder fast 30 Generationen, kommt es zu keiner nennenswerten Erweiterung des neolithischen Wirtschaftsraumes, zumindest nicht in großräumiger Perspektive.

In dieser Zeit muß aber dennoch viel passiert sein zwischen dem Nordrand der europäischen Mittelgebirge und den südlichen Küsten von Ostsee und Nordsee. Hier entstanden also innerhalb von höchstens 700 Jahren jene Völker, die dann als Ackerbauern den Ostseeraum und den Nordseeraum besiedeln sollten und möglicherweise am Ende der bandkeramischen Kultur auch Teile des vormaligen bandkeramischen Siedlungsraumes eingenommen haben könnten (Rössener Kultur, Lengyel-Kultur, Michelsberger Kultur und andere).
4.100 v. Ztr. - Die ersten Bauern kommen nach England und Schottland
Ein wichtiger Bereich "tertiärer Neolithisierung" wird von Wolfram Schier nicht angesprochen. Nämlich die britischen Inseln. Auch die Forschungen zur Neolithisierung Englands haben in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht und sollen anhand eines aktuellen Forschungsartikels (6) referiert werden. Lange Zeit wußte man auch bezüglich dieses Raumes nicht, ob sich das Neolithikum, also die seßhafte Lebensweise von Bauern durch die Zuwanderung von neuen Völkern ausgebreitet hat oder ob einheimische Bevölkerungen von Jägern und Sammlern nach und nach die bäuerliche Lebensweise angenommen haben. Also die alte, vieldiskutierte Frage! Aber auch bezüglich dieses Raumes setzt sich die Erkenntnis durch, daß neue Lebensweise sich mit neuen Völkern ausgebreitet hat, also durch deren Bevölkerungswachstum, nicht durch bloße Übernahme der Kultur (6).
Das gleiche war ja kürzlich auch schon bezüglich des Ostseeraumes festgestellt worden (2). Und nun sehen wir ähnliche Erscheinungen auch bezüglich von England. Um 3.900 v. Ztr. ist Südengland nach Ausweis der bisherigen archäologischen Forschungen von Bevölkerungen aus dem Pariser Becken und vom Pas de Calais aus besiedelt worden. Auch von den Kanalinseln und aus der Normandie kamen Siedler. Nur wenige Jahrzehnte später, vielleicht auch ein oder zwei Jahrhunderte später ist Schottland - nun von Völkern aus der Bretagne - besiedelt worden (6).
Durch diese Siedlungsvorgänge nahm die Bevölkerungsdichte in England und Schottland dramatisch zu. Innerhalb von hundert Jahren nahm sie um mehr als das Doppelte zu. Und in den nächsten zweihundert Jahren verdoppelte sich die Bevölkerung Englands wohl noch etwa zwei mal. Besonders spannend ist auch, daß um 3.600 die Bevölkerung wieder stark zurückging und sich etwa auf dem Niveau des ersten neolithischen Siedlungsschubs von 3.900 v. Ztr. einpendelte (6).
Und während die Bevölkerungsdichte bis zur Bronzezeit (ab 2.100 v. Ztr.) und auch während ihr in etwa gleich blieb, stieg die Zahl der oft noch heute in der Landschaft sichtbaren "Monumente" (Gräber, Wallanlagen und ähnliches) ab 2.400 v. Ztr. in den nächsten Jahrhunderten um das etwa Zwei- bis Dreifache an.
Auch aus England haben wir aus der frühesten Zeit des Neolithikums Zeugnisse für Milchwirtschaft. Man wird also davon ausgehen müssen, daß sich die genetisch weitergegebene Fähigkeit, als Erwachsener Rohmilch verdauen zu können, spätestens mit der Michelsberger Kultur entstanden ist und ausgebreitet haben könnte. Oder wird man damit weiter zurückgehen können bis auf die Rössener Kultur?


Wie war es nun zeitgleich in Norddeutschland und Dänemark?
Trotz viel zitierten - und deshalb hohe Erwartungen weckenden -, ausführlichen, 400-Seiten starken archäologischen, vergleichenden Überblicks-Untersuchungen (7) ist die Entstehung der Trichterbecherkultur im westlichen Ostseeraum um 4.100 v. Ztr. noch vergleichsweise wenig gut geklärt (vgl. auch 8 - 12). Versuchen wir dennoch, die wesentlichen Ergebnisse der hier angesprochenen, mühevoll erarbeiteten Untersuchung von Lutz Klassen aus dem Jahr 2004 zusammenzustellen. Zunächst schreibt er zur Vorgängerkultur, jener Ertebølle-Kultur von weit entwickelten und halbseßhaften Fischern und Jägern im Ostseeraum (7, S. 347):

Festzustellen ist eine starke Einbindung der Ertebølle-Kultur in ein weiträumiges mesolithisches Kontaktnetz. (...) So dürfte die Einführung der Keramik, einige Elemente der Grabsitten sowie die Elchgeweihhämmer auf Einflüsse aus dem ostbaltisch-nordrussischen Mesolithikum zurückzuführen sein. Besonders stark ist jedoch der Kontakt mit dem Mesolithikum der Swifterbant-Kultur, auf den die T-förmige Hirschgeweihaxt, die Schulterblätter mit Ausschnitten, Entwicklungstendenzen in der Flintindustrie sowie einige Elemente der Grabkultur zurückgehen dürften. Die gleichen Kontaktmechanismen sind für die Vermittlung der ersten Haustierhaltung und des ersten Getreideanbaus in die ältere norddeutsche Ertebølle-Kultur verantwortlich zu machen.

Spielten die Swifterbant- und die Rössner Kultur in den heutigen Niederlanden Schlüsselrollen?
Die Swifterbant-Kultur lag in den heutigen Niederlanden (5.300 bis 3.400 v. Ztr.) und zu ihr heißt es auf Wikipedia (engl.):

The oldest finds related to this culture, dated to circa 5600 BC, cannot be distinguished from the Ertebølle culture.

Sie gehörte also zu Anfang zur Ertebølle-Kultur und ist erst später eigene Wege gegangen. Die Rössener Kultur (4.500 bis 4.300 v. Ztr.), die mit etwas "plumperen" (trapezoidförmigen) Langhäusern die "kultivierteren", streng rechteckigen Grundriß-Formen der Langhäuser der Bandkeramik nach deren Untergang weiträumig im norddeutschen Raum fortgesetzt hat, scheint, was schon immer nahegelegen hatte, im Randgebiet der Swifterbant-Kultur und auch im Austausch mit ihr, sowie mit der untergehenden Linearbandkeramik entstanden zu sein - vielleicht sogar als Abspaltung von der Swifterbant-Kultur:

Contact between Swifterbant and Rössen expressed itself by some hybrid early Swifterbant pots in Anvers (Doel) and hybrid Rössen pottery Hamburg-Boberg.

heißt es auf Wikipedia. Und weiter heißt es dort über die zweihundert Jahre später einsetzende Vollneolithisierung der Swifterbant-Kultur selbst:

The agrarian transformation of the prehistoric community was an exclusively indigenous process (...). This view has been supported by the actual discovery of an agricultural field in Swifterbant dated 4300–4000 BC. Animal sacrifices found in the bogs of Drenthe are attributed to Swifterbant and suggest a religious role for both wild and domesticated bovines.

Das Verbreitungsgebiet der Swifterbant-Kultur und der frühesten Rössener Kultur wird nicht größer gewesen sein als jenes Gebiet am Plattensee, an dem sich 1500 Jahre zuvor die Ethnogenese des heute genetisch weitgehend ausgestorbenen bandkeramischen Volkes vollzogen hat. Und von wem sind die Bandkeramiker ersetzt worden? In Norddeutschland vor allem von der Rössener Kultur.


Holstein: Kontakte nach Westfalen - Jütland (später): Kontakte nach Nordfrankreich und Südengland
Im weiteren Verlauf wurde die Rössener Kultur im norddeutschen Raum über Zwischenstufen abgelöst durch die Michelsberger Kultur (4.400 - 3.500 v. Ztr.), die sich vom Pariser Becken aus weiträumig nach Mitteleuropa hinein verbreitete. Ob diese Michelsberger Kultur notwendigerweise eine größere genetische Diskontinuität zu der Rössener Kultur aufgewiesen haben muß, wäre möglicherweise eine Frage, der man noch einmal gesondert nachgehen könnte. Lutz Klassen schreibt nun jedenfalls über die Keramik der frühesten Trichterbecherkultur (nach 4.100 v. Ztr.) im westlichen Ostseeraum unter anderem (7, S. 347f):

(...) Dabei zeigte sich, daß die weitgehend unverzierte Keramik (...) sehr deutlich in der Tradition der Michelsberger Kultur steht. Einige Formen sind in fast identischer Form im gesamten Verbreitungsgebiet der Michelsberger Kultur nachweisbar. (...) Für eine Reihe von Formen konnten jedoch Parallelen nur in der nördlichsten Michelsberg-Regionalgruppe in Südniedersachsen und den angrenzenden Regionen Westfalens sowie Thüringens und des Mittelelbe-Saale-Gebietes ausfindig gemacht werden. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Entstehung der Keramik der fraglichen Gruppen entscheidend durch Impulse aus dieser Region bestimmt wurde. (...)Dem gegenüber ist der Hintergrund der Entstehung des Keramikinventars der verwandten Regionalgruppen

in Nordjütland (Volling-Gruppe, s. 7, S. 245) (ab etwa 3.950 v. Ztr.)

im westlichen und nordwestlichen Mitteleuropa im Bereich der belgisch-französischen Regionalgruppe der Michelsberger Kultur, des Chasseen septrentional in Nordfrankreich und im englischen Frühneolithikum zu suchen. Die starken Affinitäten der hauptsächlich mit der Volling-Gruppe assoziierten nicht-megalithischen Langhügel zu den südenglischen Anlagen gleichen Typs stehen hiermit in guter Übereinstimmung. In der Keramik der Satruper Gruppe des späten Frühneolithikums I sind ebenfalls Kontakte zum Frühneolithikum Südenglands deutlich sichtbar.

Aus diesen Untersuchungen ergäbe sich ein sehr breiter Einflußraum, aus dem die kulturellen Anregungen gegeben worden sind, um zwischen dem Nordrand der deutschen Mittelgebirge und der Ostseeküste die so bedeutsame Trichterbecherkultur auszubilden.
Man darf vielleicht sagen, daß es schon damals weitläufige Austausch- und Handelsverbindungen gegeben hat - per Booten und Schiffen auf den Meeren und Flußläufen, sowie auf viel begangenen Handelswegen im Inland - und daß jene zuerst "vollneolithisierten" Menschengruppen am Südrand der Ertebolle-Kultur, die also zuerst die vollbäuerliche Trichterbecherkultur ausbildeten, offen für kulturelle Entwicklungen aus vielen Bereichen der südlicheren Michelsberger Kultur gewesen zu sein scheinen.Diese kulturelle Offenheit, bzw. weitläufigen Kulturbeziehungen werden auch erkennbar bei den Trichterbecherleuten, die dann wenige Jahrhunderte später Nordjütland besiedelten und die dortige vorherige Ertebolle-Leute verdrängten.


Wo fand sie statt, die Ethnogenese des heutigen nordeuropäischen Menschentyps?
Wo jedoch jene anzunehmenderweise vergleichsweise kleine Flaschenhalspopulation gelebt hat, die den vergleichsweise einheitlichen Menschentyp hervorgebracht hat, der sich - nach allen vorliegenden humangenetischen Daten  (siehe 2, 3) - mit der ersten Neolithisierung selbst über Nordeuropa ausgebreitet hat und dort heute immer noch genetische Kontinuität aufweist, ist damit allerdings keineswegs besonders konkret geklärt.  Möglicherweise weist schon die bisherige Spärlichkeit der archäologischen Funde und Erkenntnisse darauf hin, daß es sich um besonders kleine Ausgangspopulationen "irgendwo" in dem genannten Raum gehandelt hat. Auch der früheste Ausgangsraum der Bandkeramik am Plattensee ist erst in den letzten zwei Jahrzehnten als dieser erkannt worden und über viele Jahrzehnte zuvor übersehen worden.
Deuten die Tatsachen - alle in eins genommen - nicht letztlich doch irgendwie auf die Swifterbant-Kultur und die Rössener Kultur als die eigentlichen "Kinderstuben" des heutigen nordeuropäischen Menschentyps? Es wäre vielleicht wert, einer solchen Vermutung einmal genauer nachzugehen.
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1. Schier, W. (2009). Extensiver Brandfeldbau und die Ausbreitung der neolithischen Wirtschaftsweise in Mitteleuropa und Südskandinavien am Ende des 5. Jahrtausends v. Chr. Praehistorische Zeitschrift, 84 (1), 15-43 DOI: 10.1515/PZ.2009.002
2. Bading, Ingo: 4.100 v. Ztr.: Die modernen Nordeuropäer entstehen in Ostholstein, Studium generale, 18.11.2009
3. Bading, Ingo: 3.100 v. Ztr.: Mecklenburger Jäger und Fischer tragen einige den Bandkeramiker-Genen verwandte Gene in sich. Studium generale, 21.11.2009
4. Ehrmann, O., Rösch, M., & Schier, W. (2009). Experimentelle Rekonstruktion eines jungneolithischen Wald-Feldbaus mit Feuereinsatz – ein multidisziplinäres Forschungsprojekt zur Wirtschaftsarchäologie und Landschaftsökologie Praehistorische Zeitschrift, 84 (1), 44-72 DOI: 10.1515/PZ.2009.003
5. Johann Georg Goldammer, Susanne Montag und Hans Page: Nutzung des Feuers in mittel- und nordeuropäischen Landschaften Geschichte, Methoden, Probleme, Perspektiven. NNA-Berichte 10, Heft 5, 18-38 (frei im Netz)
6. Collard, M., Edinborough, K., Shennan, S., & Thomas, M. (2010). Radiocarbon evidence indicates that migrants introduced farming to Britain Journal of Archaeological Science, 37 (4), 866-870 DOI: 10.1016/j.jas.2009.11.016
7. Klassen, Lutz: Jade und Kupfer. Untersuchungen zum Neolithisierungsprozeß im westlichen Ostseeraum unter besonderer Berücksichtigung der Kulturentwicklung Europas 5500 - 3500 BC. Jutland Archaeological Society. Moesgard Museum 2004
8. Gleser, Ralf: Periodisierung, Verbreitung und Entstehung der älteren Michelsberger Kultur. In: Biel, Jörg; Schlichtherle, Helmt; Strobel, Michael; Zeeb, Andrea (Hg.): Die Michelsberger Kultur und ihre Randgebiete. Probleme der Entstehung, Chronologie des Siedlungswesens. Kolloquium Hemmhofen, Februar 1997. Stuttgart 1998, S. 237 - 2479. Biel, Jörg; Schlichtherle, Helmt; Strobel, Michael; Zeeb, Andrea: Zentrale Orte – kleine Weiler. Forschung: Michelsberger Kultur. In: AiD 2/2000, S. 6 – 1110. Hartz, S. & Lübke, H. (2006): New Evidence for a Chronostratigraphic Division of the Ertebølle Culture and the Earliest Funnel Beaker Culture on the Southern Mecklenburg Bay. - In: C.-J. Kind (Ed.), After the Ice Age. Settlements, subsistence and social development in the Mesolithic of Central Europe. Materialhefte zur Archäologie in Baden-Württemberg 78 (Stuttgart 2006, Konrad Theiss Verlag), --> pdf..11. Hartz, Sönke; Schmölcke, Ulrich: Spurensuche an der Ostseeküste. In: AiD (= Archäologie in Deutschland), 3/2006, S. 36f12. Price, T. Douglas: The Mesolithic of Western Europe. Journal of Prehistory, 1987, S. 225 – 305