Als ich las, dass Miron Białoszewski kein polnischer Gegenwartsdichter ist, dessen „jungen“ Tonfall ich zuletzt in der EDIT 57 kennenlernte, war ich nicht wenig überrascht. Und ich war regelrecht fassungslos, als ich las, dass Białoszewski a) dieser Tage seinen 90. Geburtstag feiern würde b) im sozialistischen Polen gedichtet hat c) schon tot ist. Und wieder einmal beschleicht mich das Gefühl, dass wir viel zu wenig wissen, von der Dichtung „da draußen“ außerhalb Deutschlands, was schon gemacht wurde, von dem wir keinen poetischen Schimmer haben, so sehr wir uns auch bemühen. Da sind die ambitionierten Übersetzungsvorhaben oft nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und Miron Białoszewski ist dabei, soviel sei schon gesagt, eine sehr lohnenswerte Entdeckung. …
Miron Białoszewskis Gedichte sind Texte, die durch ihre lapidare Form extrem scharf werden, ganz als ob sie nur genau so sein können, wie sie sind. Und dennoch bringen sie winzige Details, auf die sonst niemand achtet, überlebensgroß zur Sprache – ein Loch in der Wand, ein Schlüssel bekommt riesige Aufmerksamkeit; Alltagsgegenstände werden zu Projektionsflächen psychischer Vorgänge. DIE BALLADE VOM HERUNTERGEHEN ZUM LADEN beschreibt mit groteskem Witz, wie jemand treppab, / stellt euch vor, / treppab aus seiner Wohnung in einen Laden geht, und was hörte ich? … was hörte ich? Geraschel von Beuteln und Menschengerede. // Und wirklich, ich bin wirklich / zurückgekommen. Auch alltägliche Begebenheiten, in die der Zufall hineinkichert, werden geradezu valentinesk umgekehrt; das hat beißenden Humor. Es wirkt alles erlebt und „nicht aus snobistischem Schaum gemacht, sondern vielmehr aus redlichem Schwarzbrot“, schreibt Jan Błoński. Und Tadeusz Sobolewski: „Białoszewski beschreibt die Welt … ein bisschen wie ein Ankömmling aus dem All, der sich zum ersten Mal die Erde ansieht“. / Armin Steigenberger, Poetenladen
Miron Białoszewski
Wir Seesterne
Gedichte, polnisch und deutsch
120 Seiten
Reinecke & Voß 2012