4. Dezember 2010, Die Hände, so klamm oder: WORD WAR, 7.28 Uhr

Von Guidorohm

Kaffee, Zigarette. Bastardkälte. Arschlochkälte. Man rudert mit den Armen. Schlägt die Hände zusammen. Tritt auf der Stelle.
Die Angst geht um. Warum nur? Die Angst vor dem Staat. Michael Perkampus will seine Seite ab Januar privatisieren, sie mit Brettern vernageln und verrammeln. Man soll nur noch mit einem bestimmten Klopfzeichen rein kommen. Nichts für mich. Schade. Dann werde ich mich dort nicht mehr wärmen können. Ich mag keine Gruppen. Clubs noch weniger. Der Untergrund ist für Ratten. Dann lieber als Literaturterrorist arbeiten. Um den Bauch geschlungen ein Gürtel mit unflätigen Worten. DIE KÖNNEN MICH ALLE GANZ TIEF IM ARSCH LECKEN! Sie werden dich melden! Die Denunzianten sitzen überall. Lass sie. Das ist kein Spiel. Das ist Fiktion.
Ach, die Hände klamm. Steh da und sehe der Seraphe beim Räuspern zu. Der Nachhall einer Erkältung. Die Seraphe räuspert sich in die Küche hinüber.
Doktor Willig hinterließ einen Kommentar. Keine Antwort. Die Antwort findet man hier. Willig will provozieren. Willig ist eine Mogelpackung. Die haben nicht mal genug Eier in ihren Hosen, um unter ihren wahren Namen zu kommentieren. Und dann fordern sie den starken Staat.
Die Jugend soll geschützt werden. Gute Sache! Schützt sie endlich vor den hirnerweichenden Nachmittagssendungen bei RTL und Konsorten. Schützt sie vor den hohlen Floskeln der Politiker. Vor allem auch vor der Rechtschreibung des Doktor Willig.
Worum es beim Jugendschutz geht? Natürlich um Zensur! Man muss sich nur mal die Liste der Bücher ansehen, die in diesem Land schon verboten waren. Henry Miller. Unflat. Schmutz. Die können nicht mal richtig lesen. Denn bei Miller erkennt sogar der Halbblinde: Hier habe ich es mit großer Literatur zu tun!
Nabokov! Warum nicht den Nabokov verbieten? Das arme Mädchen. Lo.Li.Ta. Und dann kommt dieser Schmutzfink und verführt sie. PORNOGRAFIE! Den Thomas Mann muss man natürlich auch verbieten. Tod in Venedig. Das ich nicht lache. Das ich mich nicht totlache. Sauereinen in Venedig. Das hätte besser gepasst! Alte Schwuchtel belauert kleinen unschuldigen Jungen. Soviel zum Inhalt.
Ja, endlich könnte das gelingen, was den Nazis nicht gelungen ist. Die Vernichtung der unbequemen Denker. Die Zeiten haben sich verändert. Heute brennen keine Scheiterhaufen. Heute kontrollieren Jugendschutzbeauftragte das Netz. Stampfen mit ihren billigen Hochglanzschuhen auf! Schreien: UNFLAT! Hier muss ein Warnsignal angebracht werden. Sie da, Sie dürfen nur noch in der Nacht ihren literarischen Schmutz unter die Leute bringen.
Fassbinder. Fassbinder. Der hat es gewusst. Den wollten sie auch fertig machen. Der wollte sogar auswandern. Auswandern? Nein!
Kämpfen. Kämpfen. Kämpfen.
Zum Literaturterroristen werden. Unbequem sein.
Immer.
Pasolini hat es gefordert und umgesetzt. Was haben sie mit ihm gemacht? Umgebracht! Von wegen, der wäre von einem Stricher überfahren worden. Pasolini hat den Kampf gefordert. Also, nehmt ihn auf. Skandiert die Namen der großen Erotomanen: Nabokov, Mann, Gide!
Die Literatur darf sich nichts gefallen lassen. Denn sonst hat sie sich erledigt. Schon liegt sie mit klammen Händen blass in einem Loch im Keller und wird von den Schergen des Staates zerstückelt und begraben. Die Literatur muss bissig und tollwütig sein. LEBENDIG! Denn sonst wird sie zum realen Staatstheater voller Luftblasen. Die sind so schön, so leer, die Luftblasen. Auf denen kann man nicht zum Himmel fliegen. Nur auf künstlichen Kanonenkugeln kann man reiten. Bewies wer? Der Baron von Münchhausen lüpft den Hut, man erkennt das Albers-Gesicht. Der blonde Hans. Ein Fall für sich. Seine Eitelkeiten. Seine Eigenheiten. Und er wehrte sich auch. Irgendwie. Das waren andere Zeiten. Nein! Der Faschismus ist nie verschwunden. Ist nicht von mir. Ist vom RWF. Das ist keine Abkürzung für eine Firma, die Küchengeräte herstellt, sondern steht für Rainer Werner Fassbinder. Der Faschismus ist nie verschwunden. Ist vielleicht doch von mir. Die Dinge verschränken sich. Greifen ineinander über. Ich lebe in einem Zimmer voll mit Filmen und Büchern. Hier steht man am Morgen auf und stolpert bereits über Alexander Kluge. Entschuldigung, murmelt man. Alles verschränkt sich. Alles greift nach einem. Der Godard hängt mir an der Hose. Die Seraphe befreit mich davon. Wir leben in einer zeitlosen Welt, die angefüllt ist mit Fiktionen. Es gibt nur diese Fiktionen. Es gibt auch anderes! Wer sagt das? Die andere Seite der Medaille. Die sollte man auch bedenken. Aber eben nur bedenken. Aber nie verbieten. Nie zensieren. Beschimpfen sollte man sich. Worte fallen lassen. Blitzkriege. WORD-WAR! Endlich!
Meine Hände, so klamm, senken sich. Ich erhebe sie. Ich werde schweigen. Irgendwann. Aber dann bin ich längst tot.