L&Poe Woche der türkischen Poesie
Bevor die arabische Invasion im 7. Jahrhundert dem Land, das wir heute Iran nennen, den Islam brachte, war Persiens mächtiges Reich der Sitz einer ganz anderen Religion. Der Zoroastrianismus hat heute nur noch ein paar hunderttausend Anhänger in der Welt, hauptsächlich Parsis in Indien und eine Minderheitengruppe in Iran. Und doch war es die offizielle Religion eines mächtigen Reiches. Auf ihrem Höhepunkt war das Persische Reich so groß wie das ottomanische Reich ein Jahrtausend später. Die Namen persischer Könige wie Cyrus, Darius und Artaxeres finden sich in historischen Dokumenten im ganzen Mittleren Osten und Kleinasien. Sie tauchen sogar unter den mächtigen Eroberergestalten des Alten Testaments auf.
Wenig weiß man über den Religionsstifter Zoroaster (Zarathustra). Seine Lebenszeit wird von Fachleuten mit einer riesigen Spanne zwischen 1700 und 500 vor Christus angegeben, die meisten nehmen den Zeitraum des 6. oder 7. Jahrhunderts an. Zoroaster war die griechische Namensform – ins einer eigenen Sprache (Avesta) war er als Zarathustra bekannt.
Im Westen gilt er heute meist als eine Art antiker orientalischer Guru. In seiner neuen Übersetzung der heiligen Texte des Zoroastrianismus widerspricht der Oxforder Professor M.L. West und nennt ihn „einen revolutionären religiösen Denker und Führer, der aus dem Nichts von irgendwo im fernen Mittelasien in der Frühzeit der iranischen Geschichte auftauchte“.
Zoroaster nannte sich selber einen Dichter-Propheten. Erst nach seinem Tod wurde Theologie und Riten des Zoroastrianismus entwickelt und wurden zur Hauptreligion des ersten persischen Reichs bis zur Eroberung durch Alexander den Großen. Im Zweiten Persischen Reich im 2. Jahrhundert nach Christus wurde es wiedererrichtet und erlebte seine Blütezeit bis zum Aufstieg des Islam.
Die Hymnen (Gathas) und eine Liturgie in sieben Kapiteln (Yasna Haptanhaiti) wurden im wesentlichen vor dem 3. jahrhundert vor Christus zusammengestellt. Von urprünglich 21 Kapiteln sind nur 14 erhalten, einige davon fragmentarisch. Diese Gedichte sind in einer sehr archaischen Sprache verfaßt, dem älteren Awesta. Die verfügbaren Übersetzungen weichen beträchtlich voneinander ab. West glaubt, daß es daran liegt, daß sie meist von Linguisten stammen, die den religiösen Kontext und den Glauben des modernen Zoroastrianismus ignorierten.
Seine neue Übersetzung ist äußerst lesbar.
Am überraschendsten ist vielleicht, daß zu einer Zeit polytheistischer Religionen Zarathustra vorschlug, den vielen Göttern (daiva) den einen wahren Herrn (ahura) entgegenzustellen. Diesen wichtigsten Herrn nannte er Ahura Mazda (den Achtsamen Herrn). Die verschiedenen Forscher schwanken in ihren Übersetzungen, ob sie die anderen Wesen als Götter oder als Engel oder Dämonen bezeichnen. West bezieht sich auf die zarathustrische Praxis, die auch von den islamischen Invasoren geteilt wurde, von einem einzigen Gott auszugehen. So bekommt Zarathustra eine Abraham vergleichbare Rolle, der die Lehren der Sonnen- und Mondanbeter zurückwies und sich dem einen wahren Gott zuwandte.
West übersetzt in einem poetischen Stil, der an die Psalmen und Sprichworte des Alten Testaments erinnert. Zarathustra nennt Gott nicht in abstrakten Begriffen, sondern nach seinen Eigenschaften: der Wahre, der Gute Gedanke, Mitleid, Freigebig oder die Herrschaft. Das erinnert an die hebräischen Gottesnamen: El Emet, der Gott der Wahrheit; El-Zaddik, der Rechtmäßige Gott, El-Shaddai, der Allmächtige Gott, El Olam, der Ewige Gott, wie auch in den 99 Namen Allahs. / MARION JAMES, İSTANBUL, Today’s Zaman 27.2.
“The Hymns of Zoroaster: A New Translation of the Most Ancient Sacred Texts of Iran,” by M.L. West, published by IB Tauris (2010), 15 pounds in paperback ISBN: 978-184885505-2