30. Stück: Von der Modernität klassischer Stücke und dem Nutzen von Textkürzungen

Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Ich hasse es, wenn Theatermacher sich damit brüsten, einen Klassiker ungekürzt auf die Bühne zu bringen. Da frage ich mich, wo bleibt denn da die Kunst? Die Schauspieler den gesamten Text eines Klassikers, den alle schon in der Schule gelesen haben, den also jeder kennt, den jeder als Reclam-Heft käuflich erwerben und den Gesamttext bei Bedarf (!) nachlesen kann, auswendig lernen zu lassen, um dann anschließend das Publikum stundenlang damit zu quälen, ohne dass jemand sich beschweren dürfte, schließlich sei das ja werkgetreu, ist für mich keine Kunst, sondern eine besonders perfide Kombination von Faulheit und Sadismus.

Die Zeiten haben sich geändert, unsere Sehgewohnheiten haben sich geändert. Wir sind vom Kino beeinflusst, dessen rasche technische Fortschritte einen immer schnelleren und virtuoseren Schnitt ermöglichen. Die Zuschauer haben sich an dieses rasante Tempo gewöhnt und begreifen trotz der Schnelligkeit, worum es geht. Dazu kommt, dass das Publikum heute auf ein riesiges Repertoire unterschiedlichster Konventionen, Normen und anderer kultureller Verabredungen zurückgreifen kann. Man muss also gar nicht stur alles zeigen, damit der Zuschauer kapiert, was Sache ist. Häufig genügt eine Andeutung. Außerdem sind Klassiker wie Faust, Nathan der Weise, Emilia Galotti, Kabale und Liebe oder Das Leben des Galilei wirklich hierzulande jedem bekannt. Zumindest kann man voraussetzen, dass jeder weiß, worum es in den Stücken geht. Einfach nur nachzuerzählen, was sowieso schon jeder weiß, ist nicht interessant. Das ist langweilig! Interessant wird es doch erst, wenn die Theatermacher ihren Blick auf den Klassiker finden und dem Publikum präsentieren. Was will man mit diesem Klassiker erzählen, sollte die Prämisse sein. Den Klassiker als Material oder Medium begreifen, mit dem man dem Publikum etwas über ihre Gegenwart bewusst machen möchte, zum Beispiel. Und dann knöpft man sich den Text vor, liest ihn vielleicht einfach mal komplett gegen den Strich, probiert Dinge aus, von denen alle sagen, das sei unmöglich (Penthesilea sei uninszenierbar, hieß es. Dennoch habe ich bereits mindestens zwei völlig verschiedene, überaus gelungene Inszenierungen dieses Stücks gesehen) und vor allen Dingen legt man seine Scheu vor Textkürzungen ab. Jeder kennt inzwischen den Hamlet-Monolog mit „Sein oder nicht sein…“. Da genügt eine Andeutung. Thomas Ostermeier hat mit seiner Hamlet-Inszenierung 2008 auf dem Theaterfestival in Avignon bewiesen, wie viel Spannung ein geflüstertes „Sein oder nicht sein“ auch in der Wiederholung erzeugen kann, ohne sich sklavisch an die Vorlage zu halten.

Klassiker können uns nämlich auch heute noch viel über unsere Gegenwart erzählen, es gibt Themen, die zeitlos aktuell sind und historische Merkwürdigkeiten können aufzeigen, was sich inzwischen geändert hat. Das ist interessant! Liebe und Hass, Macht und Intrigen, sind nur einige wenige Beispiele zeitlos aktueller Themen. Wie die Figuren damit jeweils umgehen, mag historisch merkwürdig anmuten und genau da kann man sich als Theatermacher einklinken, sich dazu positionieren und den Zuschauer durch die Aufführung mit ins Boot holen.

Ich bin nicht gegen Klassiker auf der Bühne, da bin ich anderer Ansicht als René Pollesch. Aber ich bin entschieden dagegen, mich im Theater stundenlang zu langweilen, weil die Theatermacher mir mit dem Klassiker nichts zu erzählen haben und deswegen einfach nur stur den Text herunterorgeln!


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