30. April 2012, Weltraumschrott und Wüstensand, 5.54 Uhr

Da ich in den letzten Tagen einige der Bilder von William Bird in die Pathologie hängte – an die Wände, die ansonsten nur mit Buchstaben bekritzelt sind, die zuweilen nichts anderes als Buchstabenfolgen zu sein scheinen, die nichts bedeuten, die aber einen Sinn haben könnten, der sich mir selbst, der ich doch der Hausherr bin, noch nicht recht erschlossen hat -, zerrte ich einen alten Kunstband aus meinen Büchern hervor, der schwer wie tausend Jahre Kunstgeschichte wog, die sich – laut Aufkleber auf dem Einband – in seinem Inneren auffinden lassen würden.
Und tatsächlich, unter B sprang mir Birds Gesicht in die Augen.
Grob sieht er aus, sah er aus, muss ich schreiben, denn er weilt ja einzig noch als Anmerkung in solchen Büchern oder in einem seiner Bilder, die sich zumeist in Privatbesitz befinden.
Alles an ihm ist Fleisch, überspannt von einer Haut, die, zerfurcht wie eine Wüste, über seine Kopflandschaft weht.
Das Haar erinnert an Gestrüpp, dürr und trocken und mit der Hoffnung versehen, nicht plötzlich in Brand zu geraten. Man kann den Wind hören, der sich in den Haaren nicht mehr verfängt, kann einen Streifen Papier, vielleicht von einer alten Tageszeitung, sehen, das sich darin verhakt, nur für einen kurzen Augenblick, bis es dann weiter hinunter zur Landstraße getragen wird.
Birds Haare strahlen Einsamkeit aus. In eine solche Gegend will man sich nicht verirren, und sollte es doch eines Tages geschehen, dann kann man nur hoffen, dass der Wagen über genug Benzin verfügt, denn wenn nicht, dann Gnade Gott unserer armen unfrisierten Seele.
Birds Stirn ist eine Welle, die nach unten stürzt, ein gekipptes Gewässer, das aus dem Lot geraten ist. Einzelne Würste – die mit seinen Gedanken gefüllt sein könnten – ziehen sich von einer zur anderen Seite. Ja, sie erinnern an Traumwürste, deren Darm mit all den absonderlichen Fantasien gefüllt sind, die ihn dazu trieben, seine Bilder so zu malen, wie er sich malte, und eben nicht anders.
Die Nase ist weniger eine Nase als ein Felsvorsprung, ein auffälliges Etwas, das einen, man kann hinsehen, wegsehen, stets aufs Neue irritieren wird. Sie ist ein weiterer Fremdkörper, der vom Himmel in diese Gesichtswüste gestürzt sein muss. Ein Meteorit, ein Gesteinsbrocken aus dem All, der nun dort liegt, wo er landete. Nicht schön, aber vorhanden.
Birds Lippen, die unaufhörlich an Zigaretten nuckelten, an den Rändern von Flaschenhälsen knabberten, sind leicht geöffnet, als wolle er etwas zu uns sagen. (Bird war für seine Flüche bekannt und vielleicht hat er den Fotograf, der ihn vor die Linse locken konnte, mit einer Schaufel seiner übelsten Sprüche bedeckt, die, seine Frauen konnten ein Klagelied davon singen, den Tod bringen konnten, war man diesen Schauern zu oft ausgesetzt.)
Ich saß stundenlang vor der Fotografie und sah ihn an, den ich nicht kannte, dessen Bilder aber trotz seines harschen Wesens zaubern können, weil sie sich nicht verraten. Bilder, die stets bei sich und der Fantasie bleiben, die wie aus einem anderen Land gefallen scheint, so wie Bird uns ja auch wie ein außerirdischer Metzger vorkam und vorkommt, dessen Gesicht sich aus Weltraumschrott und Wüstensand gebildet hatte.
Denken Sie daran, wenn Sie sich seine Bilder beim nächsten Mal ansehen, Bilder, die ihr Geheimnis nicht preisgeben, und dies in einer Welt, die sich ansonsten einzig über den Preis bestimmt.



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