3. Ungarns Freigeist

Ungarns Ministerpräsident spräche (könnten sie lesen) auch deutschen Rechten aus der Seele: “Wir sind von Geburt an stolz darauf, zur Gemeinschaft der Ungarn zu gehören.” (Hier)*

Auch Ungarn hat seine Probleme mit Freigeistern und nationalistischen [also offenbar schlechten, M.G.] Lyrikern:

Der für “Kultur und nationales Kulturerbe” zuständige Staatssekretär, de facto Kulturminister, Géza Szőcs, ist am Mittwoch “auf eigenen Wunsch” zurückgetreten, Premier Orbán “akzeptierte das Rücktrittsgesuch”, so die offizielle Verlautbarung, und bat Szőcs zukünftig als kultureller Chefberater des Regierungschefs tätig zu bleiben, womit Orbán sein informelles Schattenkabinett weiter vergrößert. Szőcs zog selbstredend eine positive Bilanz seiner zweijährigen Tätigkeit, “viel wurde erreicht”, vor allem die kulturelle Präsentation seines Landes während der EU-Ratspräsidentschaft und in “der Phase der brutalen Angriffe” gegen Ungarn, hätten positiven Effekt (Trianon-Teppich, Pálinka-Automat für EU-Parlamentarier?) für das Land gemacht, so Szőcs in seiner Rücktrittserklärung.

Szőcs spielt sich in seiner vor Selbstzufriedenheit geradezu triefenden Abtrittserklärung zum Freiheitskämpfer für die Bedrängten auf. Er hätte sich für den Erhalt der vom Abriss bedrohten Attila József Statue eingesetzt ebenso wie er “beschuldigte Philosophen” in Schutz genommen habe (siehe Budais Philosophenhatz). Er habe dargestellt, dass die literarische Tätigkeit des István Csurka (ein kürzlich verstorbener Naziführer) von seiner dramatischen [sic] zu trennen sei, wie er auch würdigt, dass Siebenbürgen (Szőcs` Heimat) einmal eine namhafte Rolle im Werk von Tamás Gáspár Miklós (kommunistischer Philosoph und Autor) gespielt hat. Er habe nicht den Direktor des Nationaltheaters ausgetauscht (ein schwuler Linker, heftigst befehdet von der Rechten), als dies gefordert wurde, er sehe aber auch im Werk von József Nyirö (antisemitischer Politiker der 40er aus Siebenbürgen, Blut-und-Boden-Schriftsteller, dessen neulich geplante Urnenüberführung zu heftigem Streit mit Rumänien führte) nicht die Spur von “hasserfüllten oder inhumanen Worten”. In diesem Sinne sei er ein Freidenker gewesen und geblieben. / Pester Lloyd

Die Zeitung erklärt:

Szőcs` Ablösung stand mit dem Antritt von Zoltán Balog als neuem Minister für “Human Ressources” (Bildung, Gesundheit, Soziales, Kultur, Sport, Jugend) eigentlich fest. Dieser will sich nach und nach eine eigene Mannschaft bilden, nächste auf der Streichliste ist Bildungsstaatssekretärin Hoffmann (vermutlich geht sie im Herbst, wenn das Bildungspaket durchgepeitscht wurde). Szőcs, ein Lyriker aus Siebenbürgen, der sich als Radio Free Europe- Aktivist und Dissident in Rumänien einen Namen machte, dessen Führungsstil wir aber aus erster Hand als nachtragend, rechthaberisch und kleingeistig erleben durften, war zwar auf Linie, aber vor allem administrativ vollkommen überfordert. Bereits im Januar 2011 schmiss sein Stellvertreter, Márton Kálnoki-Gyöngyössy, entnervt hin. Szőcs ist mit der Orbán-Familie, besonders Frau Orbán, gut befreundet, was die Berufung zum “Cheberater” erklären hilft.

*) Hinweis für Deutsche: bevor Sie das Zitat gebrauchen, sollten Sie das zu Ändernde ändern, sonst wirds leicht komisch ;-) !

Die österreichische Presse fragte den Ministerpräsidenten zur Affäre um den ungarischen Dichter und Nazi-Politiker József Nyirö, der im Exil in Franco-Spanien starb und dessen “sterbliche Überreste”, wie man so sagt, jüngst in ungaro-rumänischer Erde bestattet werden sollten:

Unlängst wurden die sterblichen Überreste des ungarischen Dichters Jozsef Nyirö in einer sehr umstrittenen Aktion nach Rumänien gebracht, um dort bestattet zu werden. Er war ein Mitglied des nationalsozialistischen Pfeilkreuzler-Parlaments in der Szalasi-Ära. Und Ihr Parteifreund, Parlamentspräsident Laszlo Köver machte sich auf die Reise, um Nyirö umzubetten. Rumäniens Premier erwägt, Köver deshalb zur persona non grata zu erklären. Warum diese Provokationen?

Warum müssen Pietätsfragen mit politischen Fragen verwechselt werden? Wenn man jemanden beerdigen möchte, dann wird er beerdigt. Es ist für mich verwunderlich, dass das in Rumänien eine politische Frage ist.

Natürlich ist das ein hochsymbolischer politischer Akt, wenn Ungarns Parlamentspräsident eine solche Umbettung unterstützt.

Da widerspreche ich heftig. Vor Kurzem fand eine kleine Gedächtnisfeier für den kommunistischen Diktator Janos Kadar statt. Ich war natürlich nicht dort, aber es war ein Akt der Pietät, die Feier nicht zu untersagen. Die Argumentation bringt uns in Richtung homo sovieticus. Ich lehne jeden Diskurs ab, der das Privatleben von Menschen überpolitisieren will.



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