3. Rundbrief von Maren Mütter Matagalpa, Mai 2011
„Decilo fuerte – Decilo siempre!“ - „Sag es laut – Sag es immer!“ -
So, lautet das Motto der neuesten Kampagne der „Agentes de Cambio“; eine Organisation in
Matagalpa, die sich für die Rechte sexueller Vielfalt einsetzt.
Alfredo ist nicht nur Teil der Organisation, er zählt mit zu den Gründern und
Hauptverantwortlichen. Von weitem sieht er nicht anders aus, als jeder andere Nicaraguaner auch.
Seine Haut ist Café-braun, seine Augen dunkel, sein Haar schwarz. Er ist für nicaraguanische
Verhältnisse durchschnittlich groß und hier würde man ihn liebevoll als „gut genährt“ bezeichnen,
was die Nicaraguaner durchaus als Kompliment meinen. Er hat bereits einen Abschluss in
Kommunikationswissenschaften und studiert derzeit Soziologie an einer der vielen kleinen Unis
Matagalpas.
Eines unterscheidet Alfredo allerdings von vielen seiner Landesgefährten- Alfredo ist schwul.
An sich nichts wirklich ungewöhnliches; Homosexualität in Nicaragua jedoch offen zu zugeben und
sich außerdem für die Rechte von Lesben, Schwulen und Transsexuellen einzusetzen, ist bei
weitem keine Selbstverständlichkeit. Im Gegenteil: Vorurteile, Ausgrenzung und eine enorme
Diskriminierung gegenüber Homosexualität stellt immer noch die traurige Realität in Nicaragua
und in großen Teilen Lateinamerikas dar.
Sogar bis vor Kurzem noch, bis Ende des Jahres 2007 existierte offiziell ein Artikel im
nicaraguanischen Strafgesetzbuch, welcher Homosexualität kriminalisierte und mit langen
Gefängnisstrafen verurteilte. Erst 2008 wurde dieser Artikel abgeschafft.
Doch leider wurde er durch eines der rückschrittlichsten Gesetze der westlichen Hemisphäre ersetzt;
und zwar durch das totale Abtreibungsverbot.
Demnach wird ein künstlicher Schwangerschaftsabbruch kriminalisiert und sieht dabei nicht nur für
die Frauen, die sich dazu entscheiden die Schwangerschaft abzubrechen, lange Haftstrafen vor,
sondern ebenso für jene Mediziner, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen oder eine Frau dabei
unterstützen. Das totale Verbot gilt ohne Ausnahmen. Und gilt genauso wenn die Mutter, ihr Kind
oder beide in Lebensgefahr schweben oder wenn die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung
zu Stande kam.
Auch wenn Homosexualität offiziell nun legal ist und nicht mehr als Straftat zählt, werden Lesben,
Schwule oder Transsexuelle in Nicaragua immer noch ausgegrenzt und Gewalt ausgesetzt.
Doch was genau sind die Gründe für diese unglaubliche Homophobie, also die ausgeprägte
Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit, die in ganz Nicaragua so stark vertreten ist?
Hierfür meint Alfredo, gäbe es wohl mehr als nur einen Grund.
Durch die Kolonisation Spaniens ist und war Nicaragua schon immer stark geprägt vom
katholischen Glauben.
Es wird zwar gesagt, dass Nicaragua keine offizielle Religion habe, doch selbst die angeblich linke
Regierung Ortegas wirbt mit Wahlsprüchen wie : Sozialistisch, christlich und solidarisch.
Nicht zu letzt hat Ortega das Gesetz des totalen Abtreibungsverbotes verabschiedet, um sich
Zuspruch und Unterstützung von Seiten der Kirche zu erhalten.
Homosexuelle werden von der katholischen Kirche, die wie gesagt einen enormen Einfluss hat in
diesem Land, nicht akzeptiert. Immer noch wird Homosexualität als eine „Krankheit“ gesehen und
oft schämen sich Familie und Angehörige so dermaßen für ihre schwulen Brüder , Söhne, Cousins
oder Bekannte, dass sie von ihren eigenen Familien ausgegrenzt werden. Zu mindestens dann, wenn
man diese unglaubliche „Sünde“ nicht mehr länger geheim halten kann.
Der enorme Machismo, der hier überall präsent ist, als auch die Menge an Vorurteilen und
Unwissen über das Thema, tragen erschwerend zu der fehlenden Akzeptanz gegenüber Schwulen
und Lesben bei.
Um so wichtiger ist die Arbeit weniger kleiner Menschenrechtsorganisation, Gruppen, Foren und
Aktivisten, die sich immer wieder zusammen schließen und versuchen die Menschen auf die
vorhandenen Missstände (besonders auch im Bereich der Frauenrechte) aufmerksam zu machen, zu
erklären und zu verändern.
Zu verändern, scheint nicht leicht, bei jenen starren, tief sitzenden, veralteten Gedanken, die von
Generation zu Generation weitergegeben werden.
Alfredo und die „Agentes de Cambios“ (Agenten der Veränderung), die sich vor ungefähr zwei
Jahren aus einer eher „lockeren“ Jugendgruppe entwickelt haben, gelten als die Vorreiter im Kampf
gegen die Homophobie, hier in Matagalpa.
„Wir sind eine Gruppe von 4 Hauptamtlichen und ca. 30 Jugendlichen. Unser Ziel ist Aufklärung,
und mehr Sensibilität oder Bewusstsein für das Thema in der Gesellschaft zu schaffen. Zum
anderen besteht unsere Arbeit aber auch darin, mit betroffenen Jugendlichen direkt und individuell
zu arbeiten, sie zu unterstützen, zu helfen und weiter zu bilden.“
Diese Arbeit findet in verschieden Formen statt. Zum einen durch öffentliche Veranstaltungen und
Aktivitäten auf der Straße. Durch Demonstrationen, Protestmärsche und öffentliche Kundgebungen
oder Aktivitäten wird versucht mehr Aufmerksamkeit und Druck zu erzeugen.
Das Plakat einer Veranstaltung im Park Matagalpas
Besonders stolz, ist Alfredo auf die neue Radio- und Fernsehsendung, die er als Produzent selber
vorbereitet und zusammen mit einer Mitarbeiterin moderiert. In den Sendungen werden Themen
wie sexuelle Vielfalt und Rechte behandelt.
Hierbei entscheiden besonders die Jugendlichen/jungen Erwachsenen, worüber gesprochen werden
soll. Ihre Meinung ist gefragt, durch Umfragen und Interviews auf der Straße wird versucht
möglichst viele verschiedene Ideen und Meinungen zu den Themen zu erhalten.
„Über die Sendungen können wir besonders viele junge Leute erreichen.“, stellt Alfredo fest.
„Zusammen diskutieren wir über verschiedene Themen wie zum Beispiel: mein Körper und seine
Rechte, über Liebe, Entscheidungsfreiheit oder über die Homophobie in Nicaraguaner.“
Zu jeder Sendung werden Spezialisten eingeladen, die sich in genau diesen Themengebieten
auskennen und so die Sendungen durch ihr fachliches Wissen unterstützen.
Die Einschaltquote sei erstaunlich hoch, obwohl es äußerst schwierig war eine Sendeerlaubnis bei
einem Fernsehkanal zu bekommen, erzählt Alfredo. Über Monate lang trieben die Sender die
Sendegebühren ungemein in die Höhe. Nur durch den Druck mehrerer NGO's, bekamen die
Agentes schließlich eine Sendemöglichkeit, zu einem immer noch recht hohen Preis.
Als NGO wurden die Agentes de Cambio noch nicht akzeptiert und auch an finanziellen Mitteln
fehlt es überall. „Bei vielen Aktionen hängen wir uns an die schon etablierten Gruppen dran.“,
erklärt Alfredo. Mit Grupo Venancia, eine Frauenrechtsorganisation, wird so oft wie es geht
kollabiert. Und auch finanziell sind die Agentes auf Hilfe von außerhalb angewiesen. Selbst
Materialkosten für workshops, die Kosten fürs Internet, welches wichtig für die Recherche ist, oder
ähnliches können nicht gedeckt werden. Vieles muss aus privater Tasche gezahlt werden.
Ein weiterer, vielleicht sogar der wichtigste Bereich der Agentes, ist die Einzelarbeit mit
Jugendlichen, die schon einmal Opfer von Gewalt gegen Schwule und Lesben geworden sind.
So, auch im Fall des fünfzehn jährigen Carlos (Name geändert). Hoch begabt und mit großer
Begeisterung trommelt und tanzt er für einen Musikverein Matagalpas, die an Feiertagen oder bei
Märschen und Umzügen durch die Stadt, auf den Straßen ihre Künste zeigen.
Wie viele Jungen dieses Vereins ist auch Carlos schwul. Über Jahre hinweg verschweigt er es, auch
seine Familie versucht es voller Scham so gut wie möglich zu vertuschen.
Und als es nicht mehr länger zu verheimlichen geht, schmeißen die Eltern ihren eigenen Sohn raus
und lassen den Kontakt völlig abbrechen.
Verstoßen, verzweifelt und allein gelassen verbringt Carlos einige Zeit auf der Straße, kämpft sich
durch, alleine, Tag für Tag. Bis er sich schließlich an die Agentes de Cambio wendet, die den Jungen
auf nehmen, ihm nicht nur ein Dach über dem Kopf und Essen anbieten, sondern auch
professionelle Hilfe.
„Zu unserem Team gehören unter anderem auch eine Psychologin und ein Sozialarbeiter. Ihre
Arbeit ist besonders wichtig, denn sie können den betroffenen Jugendlichen individuell
weiterhelfen.“
Es wird vor allem zugehört und versucht, die oftmals sehr tiefen seelischen Wunden vorsichtig zu
verarzten. So erfährt Carlos beispielsweise, das Homosexualität keine Krankheit oder Sünde ist,
dass er ein Recht darauf hat, schwul zu sein und dass auch seine Familie dies akzeptieren muss.
„Danach versuchen wir in den meisten Fällen auch mit den Angehörigen zu sprechen.“, erklärt
Alfredo. Das ist nicht immer einfach, zu stark ist die Scham, zu sehr eingebrannt die vielen
Vorurteile.
„In Carlos Fall, haben wir durch viele viele Gespräche mit der Psychologin erreicht, dass die
Familie ihren Sohn wieder akzeptiert und ihn wieder zu Hause aufgenommen hat.“
Dass diese Erfolge nicht die Regel sind, muss auch Alfredo eingestehen. Es ist eine Arbeit die
gerade erst einmal in den Startlöchern steht und die noch viel Zeit, Aufwand und Geduld brauchen
wird.
Die Situation der Transsexuellen in Nicaragua ist ebenfalls sehr schwierig und geprägt durch
Gewalt und Diskriminierung.
In den letzten Jahren wurden offiziell (Dunkelziffer unbekannt) 4 Fälle in Matagalpa bestätigt, bei
denen Transsexuelle, auf Grund ihrer sexuellen Entscheidung umgebracht wurden. Auf mysteriöse
Weise verschwinden immer wieder Frauen, die sich im Körper eines Mannes gefangen sehen und
ihr Aussehen feminisieren. Auf der Straße werden sie beschimpft, manchmal sogar geschlagen, und
die Polizei scheint nichts für diese Frauen zu tun.
Alfredo und die Mitglieder der Agentes de Cambio versuchen, Druck bei der Polizei auszuüben. Sie
fordern endlich eine Aufklärung der vier Morde und ein gerechtes Gerichtsverfahren. Doch
verlieren auch sie immer wieder die Hoffnung, denn das einzige was sie von der Polizei zu hören
bekommen ist, dass sie an den Fällen dran sei, ihnen jedoch einiges an Informationen fehle. Bei
diesem Gedanken schüttelt Alfredo nur enttäuscht den Kopf. Einer der Morde fand direkt vor dem
Polizeigebäude statt.
Im Alltag und auf der Straße sind die „chicas Trans“ (Trans Mädchen), wie sie hier genannt werden,
immer wieder Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Weder als Mann, noch als Frau werden sie
von der Gesellschaft akzeptiert, was zu einem unmenschlichen und erniedrigenden Status führt.
Außer in speziellen Bars und Nachtclubs ist es geradezu unmöglich für eine transsexuelle Person,
auf legaler Weise Arbeit zu finden. Für viele ist die Prostitution der letzte Ausweg.
Nicht selten werden sie nachts im Park angegriffen, beschimpft oder von Männern mit Urin
bespritzt.
„Es ist nicht nur so, dass viele der chicas Trans keine fairen Jobchancen haben. Bereits durch das
nicaraguanische Schulsystem werden sie oft diskriminiert, so dass ihr Bildungsstand häufig niedrig
ist.“, erklärt Alfredo.
Vor kurzem erst, drohte ein Colegio (eine weiterführende Privatschule), einem Jungen mit dem
Rausschmiss. Der Grund dafür: Er lackierte sich die Nägel und trug die Haare lang.
Dank der Hilfe der Agentes, die mit der Direktorin sprachen und auf das Recht auf Bildung eines
jeden pochten, durfte er an der Schule bleiben.
Doch auch innerhalb der Schule werden Transsexuelle, Schwule oder Lesben enorm diskriminiert.
So entsteht eine Art Teufelskreis, der immer weiter getrieben wird.
„Zu unserer Arbeit mit den chicas Trans gehören auch die Tallers.“, beschreibt Alfredo. Das sind
workshops, in denen wir versuchen den chicas Werte beizubringen, die sie nie erfahren oder gelernt
haben. Denn oft ist ihr Verhalten aggressiv, auch sich selber gegenüber. „Was Respekt, Akzeptanz
und Zuneigung bedeutet, versuchen wir durch Vorträge, Aktivitäten und Dynamiken heraus zu
kristallisieren. Jeden Mittwoch zeigen wir beispielsweise einen Film, zu dem alle herzlich
eingeladen sind. Danach wird drüber geredet, reflektiert und die Thematik, die sich meistens im
Rahmen sexueller Rechte und Vielfalt bewegt, auf die eigene Situation angewendet.“ Diese Arbeit
war nicht von Anfang an selbstverständlich. Es dauerte lange, bis Alfredo und seine Mitstreiter
Vertrauen bei den chicas aufbauen konnten. Durch regelmäßige Besuche im Park, einem Café,
etwas zu Essen oder einer warmen Decke, die sie mitbrachten, wenn sie sich zu ihnen setzten, um
mit ihnen zu reden, erschufen sie mit der Zeit eine Beziehung zu den chicas, in der sie sich sicher
fühlten und sich öffneten.
„Es ist keine leichte Arbeit, die wir Tag für Tag bestreiten.“, sagt Alfredo „Doch es tut gut zu sehen,
dass es voran geht, wenn auch sehr langsam. Nicht zu Letzt durch den globalen Austausch, den
steigenden internationalen Einfluss, zum Beispiel durch Internet und Fernsehen, hat sich schon
einiges geändert. Ich hoffe dass die Menschen hier in einigen Jahren soweit sind und verstehen,
dass sexuelle Vielfalt, nichts Bedrohliches ist und Schwule, Lesben oder Transsexuelle genau so
akzeptiert werden wie Heterosexuelle auch.“
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