3. Bretonisches Tagebuch – La Chèze – Le Conquet, 22.08.2011

Von Gardner

Les Blancs Sablons

Ich bin am Ende. Völlig am Ende. Finistère. Am Ende der Welt. Unweit von meiner aktuellen Bleibe ist die Pointe de St. Mathieu, eine der westlichsten Felsnasen des bretonischen Festlands. Weiter draußen im Meer liegen noch ein paar Inseln, Molène und Ouessant zum Beispiel.

Der Regen prasselt auf das Dach. Vor einer halben Stunde konnte ich den Untergang der Sonne sehen, die sich heute sehr bedeckt gehalten hat, nachdem sie sich am Wochenende ausgiebig ausgetobt und mir eine gewisse Röte ins Gesicht getrieben hat.

Das Festival in La Chèze ist mittlerweile seit 24 Stunden zu Ende. Es war einfach gut, nein, mehrfach gut. Einzelheiten werde ich hier immer wieder einfließen lassen. Oh, es ist schon ein mächtiger Sprung vom Trubel der letzten vier Tage hin zur Einsamkeit am Ende der Welt. Gerade überlege ich, was mich jetzt besser begleitet beim Schreiben: Ein Calvados oder ein eiskalter Muscadet.

Letztendlich gewinnt der Calvados. Draußen ist es nicht mehr lustig. Ein gewaltiger Temperatursturz ist zu verzeichnen. Die italienische Nachbarin läuft schon den ganzen Abend im Anorak herum, die Kapuze fest unter dem Kinn verschnürt. Ok, das scheint mir jetzt um einiges übertrieben, aber wer sicher andere Temperaturen gewöhnt ist, für den ist das hier gewiss jetzt der Schocker. Nun regnet’s erst einmal.

Soll es!

In meinem Schneckenhaus bin ich trocken. Zu futtern gab es heute Abend Bratkartoffeln, diese mit der roten Schale, die ich dann auch gleich dran gelassen habe. Dazu Spiegelei auf rohem Schinken.

Yumm.

Ein kleiner musikalischer Rückblick auf letzten Freitag in La Chèze:

Der Nachmittag startetmit einem weiteren Konzert von Alex de Vree und Thomas Troussier.

Dieses Mal betreten sie die Bühne auf den „Iles“, den Inseln im kleinen Flüsschen, das durch La Chèze fließt. Es ist der richtige Einstieg in einen langen Musik geprägten Tag, der noch einige Überraschungen bereit hält.

Aber davon weiß ich jetzt noch nichts, als ich den Klängen der Beiden lausche, hier und da ein Foto schieße, ein kurzes Gespräch führe.

Der Zweite auf dem heutigen Programmzettel ist Tom Attha, ein aus Großbritannien stammender Bluesmusiker. Sein Auftritt ist ein weiteres Highlight dieses Festivals.

Tom’s Art zu singen, hat schon etwas Einzigartiges. Vom tiefsten Tief seiner Bauchstimme wechselt er in die höchsten Höhen seiner Kopfstimme. Sein Gitarrenspiel sucht seines Gleichen.

Wenn er Titel von Robert Johnson spielt, wie beispielsweise „Corssroads“ oder „Terraplane Blues“, erlebt man etwas wie die Reinkarnation dieses Urvaters des Blues.

Tom Attha geht völlig in dieser Musik auf. Und er spielt ihn, um den Leuten zu erklären, was Blues ist und woher er stammt, die (Zitat) „immer noch meinen, dass Eric Clapton in den Sechzigern den Blues erfunden habe“.

Damit hat er die Lacher auf seiner Seite. Klar. Tom spielt ein tolles, vielseitiges Set.

Zum Abschluss des Nachmittags gibt es noch eine Akustik- Jam Session mit Alex und Thomas.

Sogar Steve Nimmo steigt mit ein. Hier gibt es dann noch eine Interpretation zum Dahinschmelzen von „Summertime“, Tom Attha intoniert Gershwin’s Song auf seine ihm gegebene Art und Weise. Goose bumps again.

Der Abend in der „Salle de Fêtes“ beginnt mit einem Wachrütteler und Abtanzkonzert der niederländischen Band „CC Jerome’s Jetsetters“. It’s Rockabilly- Time.

Und ab geht sie. Die buchstäbliche Post. Gleich vom ersten Akkord weiß man, wohin das bestens eingespielte Trio abzielt: Auf Bauch und Beine.

Keinerlei Zeit für Sentimentalitäten. Die Show entspricht ganz und gar nicht dem, was man erwarten könnte, wenn man ihre letzte CD gehört hat, auf der sie den Pianisten Gene Taylor begleitet haben. Wer die Musik der Stray Cats mag, ist hier bestens bedient, wenngleich es sich keinesfalls um einen Abklatsch des Trios um Brian Setzer handelt. CC Jerome & The Jettsetters spielen ihr eigenes Ding und das gut und eindringlich.

Der Applaus ist gewiss und die Zugabe ebenfalls.

Umbaupause. Gespräche.

24 Pesos…

Was soll man zu dieser Band sagen? In einem Podcast von Paul Jones (Blues Band) wöchentlicher Bluessendung auf BBC 2 habe ich sie zum ersten Mal gehört. Und war überrascht. Es ist so gar nicht, was der Purist von einer Bluescombo erwartet. Nein, um ehrlich zu sein, ich habe gar keine Erwartung an diese Band, die in Kennerkreisen so viel Aufsehen erreicht.

24 Pesos eben. Sie sind anders. Sie spielen anders. Sie interpretieren anders. Ihre Titel sind anders. Alles ist anders. Genau das bedeutet, dass sie ihren eigenen Weg eingeschlagen haben und diesen auch konsequent weiter verfolgen.

Ein Konzert der 24 Pesos ist wie eine Reise ins Ungewisse, du weißt nie, was dich hinter der nächsten Ecke erwartet. Und von diesen Ecken gibt es viele und ebenso viele Kanten, hier ist nichts geschliffen oder glatt poliert.

24 Pesos ist allemal ein Konzerterlebnis wert, die CD den Kauf ebenso und man darf jetzt schon gespannt sein auf ihr neues Werk, das gerade in der Mache ist.

Mehr zu 24 Pesos hier: http://www.bluesfocus.net/

Es ist gegen 2 Uhr in der Nacht, als ich ziemlich ausgeknockt in mein Wohnmobil krieche. Mit dem Gefühl, einen tollen Tag erlebt zu haben; schlafe ich ein.

Heute ist schon Mittwoch, der 24.08.2011. Nachdem ich nun zwei Tage auf dem Conquet zugebracht habe, geht es gleich weiter; eventuell ein wenig Küste hinauf nach Norden, aber dann wieder südwärts auf die Halbinsel von Crozon, die mir seit meinem letzten Trip hierher noch in bester Erinnerung ist.

Ein bisschen schwer fällt mir der Abschied hier schon, denn der Strand ist wirklich eine Entdeckung. Schön gelegen in einer Bucht mit Blick auf die vorgelagerten Inseln. Gestern Abend habe ich ein Sonnenuntergangshooting vorgenen. Die Bilder muss ich aber noch begutachten. Gegen acht Uhr heute Morgen schien noch die Sonne, jetzt ist schon wieder alles zugezogen. Aber auch das kann sich noch ändern.

Der Campingplatz hat zwei Sterne und auch nicht mehr verdient. Die Sanitäranlagen werden so gut wie nicht gepflegt. Dafür ist der Preis von 19,90 € für eine Person mit WoMo und Stromanschluss allerdings zu deftig.

So, jetzt wieder die Stromleine einholen, alle Schränke verriegeln, damit das Schiff wieder schaukeln kann und nichts verschütt geht.