Wer Kraus’ Gedichten zum ersten Mal begegnet, ist geneigt, sie ihres Vokabulars wegen für unübersetzbar zu halten. Das Gedicht „genfer see“ etwa leitet erwartungsgemäß den Blick übers Wasser, über Schiffe und Möwen. Doch nicht von Booten ist die Rede, sondern von „pardune“, „bilge“, „tartane“, „schlenge“ – keine Neologismen, sondern maritimes Fachvokabular, wie die Landratte googelnd entschlüsselt. Um sich am Ende zu fragen, wie wichtig die neu gelernten Bedeutungen überhaupt sind. Ob die Entschleunigung des Leseprozesses durch Rätselwörter das Ziel ist. Und was für eine Rolle die Tatsache spielt, dass Elisabeth von Österreich auf der Genfer Uferpromenade von dem bettelarmen Luigi Lucheni mit einer Feile erstochen wurde. Zwar düstert ein „totmann“ und eine Leiche wird aufgebahrt. Dennoch spielen die historischen Hinweise eher Versteck als Zeigefinger. Distanz statt Drama, Andeutung statt Gemälde, Collage statt Geschlossenheit: das versteht sich, als Regel des poetischen Verfahrens, heute von selbst. Statt der bis zum Überdruss betexteten kaiserlichen Ikone weitere Verse an den Rocksaum zu heften, lenkt die Autorin das Interesse auf Wörter, die wie fremdartige Schwimmkörper gegeneinander klackern („möwengepudel / kostal vor der bilge“).
Auf Verständlichkeit seien ihre Texte nicht aus, sagt Dagmara Kraus. Vielmehr seien sie „laut geschrieben“ und sollten auch laut gelesen werden. / Gisela Trahms, Poetenladen
Dagmara Kraus
kummerang
Gedichte
Berlin: kookbooks 2012
80 S., 19,90 €