25 Jahre nach der Implosion: Anfang und Ende der Sowjetunion

Lenin-denkmal

Lenin-Denkmal, Marco Fiber, flickr.com

Als  am 25.12.1991 die rote Fahne über dem Kreml eingezogen wurde, verschwand nach 70 Jahren über Nacht ein Land, das wenige Jahre zuvor Weltmacht war: die Sowjetunion. Ein Schnelldurchgang durch die Geschichte eines Landes, das wie kein anderes die Menschheit polarisierte und spaltete. 

Als am 25. Dezember 1991 die rote Sowjetfahne über dem Kreml eingezogen wurde, wurde vielleicht das größte staatliche Experiment der Weltgeschichte zu Grab getragen: die Sowjetunion. Lautlos, quasi durch die Hintertür verschwand da ein Land nach 70 Jahren von der Landkarte, das wenige Jahre zuvor noch Weltmacht und weltweit Inbegriff großer Hoffnungen oder tiefer Ablehnung war.  Denn die Sowjetunion war nie ein normaler Staat, sondern ein Produkt einer Weltanschauung. In ihr sollte die Marxsche Vision des Kommunismus Wirklichkeit werden, nämlich der Aufbau einer herrschaftsfreien Gesellschaft durch die Arbeiterklasse. Die Diskrepanz zwischen dem quasi religiösen Anspruch, das Himmelreich auf Erden errichten zu wollen, und die tatsächliche Praxis von Diktatur und schierer Menschenverachtung durchzieht die ganze Geschichte von der Sowjetunion.
 

Lenin, der Staatsgründer

Und an diesem Anfang stand Lenin. Er war der theoretische Wegbereiter der Bolschewismus und der unbestrittene Führer bei der Durchsetzung des bolschewistischen Machtanspruchs im revolutionären Russland zwischen 1917 und 1922. Die Bolschewisten glaubten, als selbst ernannte Avantgarde der Arbeiterklasse, eine sozialistische „Diktatur der Proletariats“ errichten zu müssen, um die Voraussetzungen einer zukünftigen „klassenlosen Gesellschaft“ zu schaffen. Am 7.11.1917 stürzten sie die seit der „Februarrevolution“ herrschende provisorische demokratische Regierung in der „Oktoberrevolution“ und leiteten umgehend die kommunistisch-sozialistische Umwandlung der Gesellschaft ein: Großgrundbesitzer wurden enteignet, Banken verstaatlicht, ein von Bolschewisten beherrschtes Rätesystem (Sowjetsystems) eingeführt. In dem folgenden Bürgerkrieg behauptete sich die Sowjetmacht unter Einsatz auch von Terror und dehnte sich über die Grenzen Russlands aus. Unter der Führung Russlands gründete sich 1922 die „Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“, die Sowjetunion. Ein mächtiger Staatenbund  von Eurasien bis an die Grenzen Chinas war entstanden. Er fiel 1924 in die Händen eines brutalen Paranoikers: Stalin. In seinem politischen Testament hatte Lenin kurz vor seinem Tod noch eindringlich vor den Ambitionen seines Generalsekretärs gewarnt: „Genosse Stalin hat dadurch, daß er Generalsekretär geworden ist, eine unermeßliche Macht in seinen Händen konzentriert, und ich bin nicht überzeugt, daß er es immer verstehen wird, von dieser Macht vorsichtig genug Gebrauch zu machen. (…) Stalin ist zu grob“.


Der Kommunismus – Geschichte einer Illusion Teil 1

Stalin, der Tyrann

Innerhalb von wenigen Jahren gelang es dem ehemaligen Priesterzögling, das ganze Land zum Sklaven seines Willens zu machen und brutal umzugestalten. Aus der Diktatur einer Partei wurde eine Diktatur einer Person. Ohne Rücksicht auf Menschenleben wurde 1928 die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft eingeleitet; in den großen Säuberungen zwischen 1935 und 1939 alle vermeintlichen und potenziellen Gegner ausgeschaltet; Millionen Menschen als „Schädlinge“ in Arbeitslager geschickt. Am Ende war fast die gesamte revolutionäre Elite von 1917 ausgelöst und durch stalintreue Apparatschicks ersetzt. Der rassistische motivierte Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion 1941 ließen Führung und Bevölkerung näher zusammenrücken. Der opferreiche Sieg machte „Generalissmus“ Stalin zum auch international anerkannten Führer der kommunistischen Welt. Die beim Vormarsch der Roten Armee eroberten Gebieten Osteuropas wurden zu sowjetischen Satellitenstaaten umgebaut, für Stalin eine ganz natürliche Entwicklung, die sich aus dem Charakter des Zweiten Weltkriegs ergab: „Dieser Krieg ist nicht wie in der Vergangenheit, wer immer ein Gebiet besetzt, erlegt ihm auch sein gesellschaftliches System auf. Jeder führt sein eigenes System  ein, soweit seine Armee vordringen kann. Es kann garnicht anders sein.“ Die Sowjetunion stand nach 1945 auf dem Zenit seiner Macht, stieg neben den USA zur Weltmacht auf.

Von Chruschtschow bis Breschnew: Stagnation und Widersprüche

Der Tod Stalins im März 1953 bedeutete eine tiefe Zäsur für die Sowjetunion. Es begann eine lange Zeit des Übergangs, des paradoxen Versuchs, sich von Politik und Methode Stalins abzugrenzen, ohne prinzipiell das diktatorische Sowjetsystem in Frage zu stellen. Historiker sprechen heute auch von einem „Stalinismus ohne Stalin“. Insbesondere unter Führung von Nikita Chruschtschow, der aus den Diadochenkämpfen zunächst siegreich hervorging, wurde anfangs versucht, der repressiven Kurs im Inneren vorsichtig abgeschwächt. Die Reformversuche blieben aber unausgegoren, zumal auch der sowjetische Vormachtanspruch in Osteuropa absolut blieb. Aufstände in der DDR, Ungarn und in der CSSR wurden brutal niedergewalzt. Mit dem Stabwechsel an Leonid Breschnew 1964 trat die Sowjetunion in die Phase einer langjährigen Agonie, die lange Zeit mit Stabilisierung verwechselt wurde.  Denn bei aller Überwachung und Gängelung – die Zeit des offenen Terrors war vorbei, die Meisten lernten scheinbar resigniert mit Mangel und Korruption zu leben.  Ab Mitte der 1970er-Jahren wurde der Druck im Kessel aber immer größer. Wirtschaftliche Ineffizienz und  der intellektuelle-technologische Rückstand gegenüber dem Westen waren nicht mehr zu übersehen.  Immer größer wurde die Diskrepanz zwischen hohler Propaganda und trister Realität, zumal die austauschbar gewordene „Altherrenriege“ an der Staatsspitze die politische Erstarrung geradezu idealtypisch verkörperte: Der König war nackt, jetzt musste nur noch einer aufstehen und es laut sagen. Und dies tat dann (nach dem Tod des greisen Konstantin Tschernenko) 1985 der neue Mann an der Spitze höchstpersönlich. Michael Gorbatschow.


Der Kommunismus – Geschichte einer Illusion Teil 2

Gorbatschow: Revolutionär wider Willen

Er setzte einen Reformprozess in Gang, der unbeabsichtigt, aber letztlich folgerichtig zur Selbstzerstörung der Sowjetunion führte. Der jung-dynamisch wirkende Parteikarrierist wollte den erstarrten Staat der Moderne öffnen und gesellschaftlich demokratisieren; er ließ wirtschaftliche Freiheiten zu, ließ Systemkritiker frei und förderte öffentliche Diskussionen. Außenpolitisch ließ er konsequenterweise auch vom sowjetischen Vormachtanspruch innerhalb des Ostblocks. Was den Sozialismus erneuern sollte, führte in unglaublicher Geschwindigkeit zu einer nicht mehr kontrollierbaren gesamtgesellschaftlichen Revolution. „Die Oberen konnten nicht mehr und die Unteren wollten nicht mehr“, wie Lenin einmal die Bedingungen einer revolutionären Situation so einleutend beschrieb : 1989 fielen unter dem Druck der Bevölkerung die kommunistischen Regime in Mittel-/Osteuropa nacheinander wie Dominosteine; 1991 löste sich die Sowjetunion im Nichts auf. Persönlich war Gorbatschow ganzer Linie gescheitert – aber ein großer Teil der Welt wieder frei.

25 Jahre nach der Implosion: Anfang und Ende der Sowjetunion

Der Münchner Christoph Marx ist Publizist und Lektor und lebt in Berlin. Er arbeitet als Autor und Redakteur für viele namhafte Verlage und veröffentlichte bzw. verantwortete inhaltlich zahlreiche Werke, v.a. zu historisch-politischen, gesellschaftlichen, sportlichen und kulturellen Themen.Referenzliste unter Autor und Redakteur/Lektor.

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