Individuelle Gesichter von Artgenossen unterscheiden, das kann die eusozial lebende mittel- und nordamerikanische Papierwespen-Art
Polistes fuscatus ( Wiki) (1). Sie lebt in Schwärmen von bis zu 200 Artgenossen mit mehrere Königinnen und sterilen Arbeiterinnen. Seit 2011 ist dieses Forschungsergebnis bekannt. Selbst nah verwandte Arten beherrschen diese Gesichtererkennung nicht. Und diese Fähigkeit beherrschen - nach derzeitigem Kenntnisstand - überhaupt nur eine Handvoll Arten im Insektenreich (Abb. 1).
an der renommierten privaten Cornell-Universität (
2011 ist dieses Forschungsergebnis von dem jungen, aufstrebenden Forscher Michael J. Sheehan und Mitarbeitern im Wissenschaftsmagazin "Science" veröffentlicht worden. Es trug sicher - mit anderen Forscherleistungen - dazu bei, daß Sheehan heute Assistenz-Professor an fünfzehn besten Universitäten der Welt ist, nämlich Wiki), gelegen im Nordenosten der USA im US-Bundesstaat New York ( Cornell,
2011 war über dieses Forschungsergebnis breit im Wissenschaftsteil fast aller großen deutschen Tageszeitungen und Wochenmagazine berichtet worden. Das kann ja leicht gegegoogelt werden. Es sei an dieser Stelle zum Einlesen deshalb nur beispielhaft auf zwei gute deutschsprachige Artikel hingewiesen (2, 3).
Nun, neuerdings wird Anfang 2020 von Seiten desselben Forschers bekannt (4):
Bei diesen Papierwespen begann die Evolution dieser Fähigkeit zur individuellen Gesichtererkennung um 6.000 v. Ztr. (4; Fig. 5). Um 2000 v. Ztr. bis etwa 0 nahm sie Fahrt auf. Und vor 500 Jahren ist sie bei dem heutigen Stand angelangt (4; Fig. 5).
Für die Papierwespen hätten wir Teile dieses Mechanismus also womöglich schneller herausgekriegt als sogar für uns Menschen. Verantwortlich sind für die Intelligenzevolution der Polistes fuscatus vor allem Veränderungen der Steuerungssequenzen im nicht-kodierenden Genom, nicht Veränderungen im kodierenden Genom (4)*).
Pro Schwarm gibt es bei diesen Papierwespen meistens nicht nur eine, sondern mehrere Königinnen, die eine Hierarchie untereinander bilden, die darauf beruht, daß sie sich gegenseitig individuell erkennen können. Warum das ausgerechnet bei ihnen evoluiert ist und nur bei wenigen oder gar keinen anderen staatenbildenden Insekten und auch erst in den diesen wenigen letzten Jahrtausenden das wird ja nun wirklich sehr spannend werden zu erfahren.
Überhaupt schließt sich eine Fülle von Fragen an dieses Ergebnis an. Zum Beispiel: "Dunbar's number" ( Wiki) - gilt sie auch für Papierwespen, bzw. soziale Insekten? Also ist Intelligenzevolution gebunden an die Größe des Schwarms, bzw. Staates? Bzw. noch allgemeiner: gilt auch hier die Socail-Brain-These?
In Mexiko beginnt die Entwicklung komplexer menschlicher Gesellschaften - erst - um 1.500 v. Ztr.
Bislang wird als früheste seßhafte, komplexe menschliche Gesellschaft auf dem amerikanischen Kontinent die Norte-Chico-Kultur (In Mittelamerika jedoch gilt als früheste seßhafte und zugleich städtische Kultur die Kultur der Olmeken (
Polistes fuscatus lebt natürlicherweise in Wäldern und braucht Holz als Lebensgrundlage. Allerdings leben diese Papierwespen auch gerne in der Nähe des Menschen, beispielsweise auch gerne in der Nähe schwacher Lichtquellen. Das Verbreitungsgebiet von Polistes fruscatus ist ausgedehnt bis zum heutigen Honduras, also bis südlich der Yucatan-Halbinsel von Mexiko. Dieser Umstand bringt einen auf den Gedanken, ob womöglich irgendein Zusammenhang dieser Intelligenzevolution bei den Papierwespen mit ihrer Nähe zu Menschen, besteht, bzw. zu vielen Menschen.
Wiki, engl) in Nordperu genannt, wo die seßhafte Lebensweise erstaunlicherweise shcon um 3.500 v. Ztr. begann und wo so auffälligerweise Stufenpyramiden in städtischen Siedlungen - wie im zeitgleichen Mesopotamien - ab 3.200 v. Ztr. errichtet wurden. Dabei handelt es sich um eine Kultur, die noch keine Keramik kannte (was im Vorderen Orient bis 7.000 v. Ztr. gegeben hat).
Wiki, engl), die um 1.500 v. Ztr. beginnt.
Vermutung: Da größere Kolonien besser überleben, wurde Vermeidung von internen Rangkämpfen durch Gesichtererkennung ein Selektionsfaktor
"Das wirklich überraschende Ergebnis ist hier, daß der intensivste Selektionsdruck in der jüngsten Geschichte dieser Wespen nichts zu tun hat mit Klima, Nahrungssuche oder mit Parasitenbefall, sondern damit, besser miteinander zurecht zu kommen. Das ist ganz schön grundlegend."
"The really surprising conclusion here is that the most intense selection pressures in the recent history of these wasps has not been dealing with climate, catching food or parasites but getting better at dealing with each other. That's pretty profound."
Damit stellt er seine Studie also klar in die Tradition der Social-Brain-Theorie. Außerdem sagt Sheehan die schönen Worte (5):
"Das ist so eine Art von 23andMe - aber mit Papierwespen."
"It's kind of like 23andMe, but with paper wasps."
Als selektiven Druck für diese Intelligenzevolution vermutet Sheehan, daß es bei Papierwespen mehrere Königinnen gibt, die miteinander Rangkämpfe führen (5):
In Gemeinschaften mit einer einzigen Königin wie in den Honigbienen-Kolonien, sind die Rollen klar. Jedes Individuum kennt seinen Platz. Aber Papierwespen können fünf oder mehr Königinnen in einem Nest haben und Gesichtererkennung kann diesen Königinnen helfen, miteinander zurecht zu kommen. (...) Die Königinnen führen Rangkämpfe miteinander. Indem sie ihre gegenseitigen Gesichter erkennen, können sich die Königinnen daran erinnern, wen sie schon besiegt haben oder durch wen sie besiegt worden sind. Und das vermindert die Aggression im Nest.
In communal groups with a single queen, like honeybee colonies, the roles are clear, and each individual knows its place. But paper wasps may have five or more queens in one nest and facial recognition helps these queens negotiate with one another. (...) In their battle for dominance, queens fight with one another. By recognizing each other's faces, the queens can keep track of who they've already beaten, or been beaten by, which lessens aggression in the nest.
Der Selektionsdruck ist also derjenige, daß größere Schwärme mit bis zu 200 Tieren leichter überleben und sich verteidigen können als kleinere Schwärme. Die individuelle Gesichtererkennung dient dazu, Rangkämpfe in größeren Schwärmen zu reduzieren, damit jede ihren Platz in der Gemeinschaft kennt und diesen konstant einnimmt ohne weitere aufwändige Kämpfe - zum Nutzen aller.
Die streitbaren Papierwespen! Wozu ihre Streiterei alles nützlich ist. Hier sind bedeutende weitere Schritte in ein Forschungsfeld hinein getan, das sehr spannend ist und womöglich jeden Tag spannender wird.
*) Original (3): "Recent, strong, hard selective sweeps in P. fuscatus contain loci annotated with functions in long-term memory formation, mushroom body development, and visual processing, traits which have recently evolved in association with individual recognition. The homologous pathways are not under selection in closely related wasps that lack individual recognition. Indeed, the prevalence of candidate cognition loci within the strongest selective sweeps suggests that the evolution of cognitive abilities has been among the strongest selection pressures in P. fuscatus' recent evolutionary history. Detailed analyses of selective sweeps containing candidate cognition loci reveal multiple cases of hard selective sweeps within the last few thousand years on de novo mutations, mainly in noncoding regions. These data provide unprecedented insight into some of the processes by which cognition evolves."