# 238 - Ein Familienleben unter der roten Fahne

Dieses Buch ist mir zufällig über den Weg gelaufen.
# 238 - Ein Familienleben unter der roten FahneEs erschien 1941 zum ersten Mal und wurde 2019 bei 'Aufbau digital' neu veröffentlicht: Die Väter des 1964 verstorbenen Autors Willi Bredel. Der Roman ist der erste Teil der Trilogie "Verwandte und Bekannte".
Im Mittelpunkt steht die Hamburger Arbeiterfamilie Hardekopf mit dem Familienoberhaupt Johann Hardekopf. Johann stammt aus Bochum, doch weil ihm die Stadt als zu grau erscheint, reist er durch Deutschland. Als 1870 der Deutsch-Französische Krieg beginnt, wird er schon kurz nach Kriegsbeginn verwundet und in ein Lazarett nach Pirmasens gebracht. Zu diesem Zeitpunkt versucht er bereits, die traumatischen Erinnerungen an die Kämpfe und einen toten französischen Soldaten, den er mit seinem Bajonett erstochen hat, zu verarbeiten.  
Nach seiner Entlassung aus dem Lazarett sind sich die Soldaten einig, dass der Krieg nun bald vorbei sein müsse: Alle französischen Armeen konnten geschlagen werden, nun hätte von Paris aus die Heimreise angetreten werden können. Aber Paris wird weiterhin belagert, man ist dort noch lange nicht bereit, aufzugeben. Aus der Ferne beobachtet Hardekopf den Fortgang des Krieges. Er kann nicht glauben, was er sieht: Der französische Kaiser ist gefangengenommen, nun kämpfen Franzosen gegen Franzosen. 
Doch es kommt für Hardekopf noch schlimmer: Einige flüchtige Kommunarden des revolutionären Pariser Stadtrats, die im Zuge des Krieges versucht hatten, eine sozialistische Verwaltung zu installieren, werden eines Nachts von einer deutschen Division aufgegriffen. Hardekopf bekommt den Auftrag, sie den Versaillern in Vincennes zu übergeben und begreift in seiner Unbedarftheit nicht, dass er sie damit dem sicheren Tod ausliefert. Die Hinrichtung der Kommunarden erlebt er entsetzt mit und erfährt, dass einer von ihnen Eisengießer gewesen ist - wie er selbst. Der Mann hatte ihn unterwegs immer wieder auf Französisch gebeten, ihn laufen zu lassen, zu Hause warteten seine Frau und seine drei Kinder.
Hardekopf wird dieses Erlebnis sein Leben lang nicht vergessen und sich bei jeder Erinnerung daran schuldig fühlen. Das Kriegsjahr hat ihn gründlich verändert. Was er in dieser Zeit erlebt hat, wird er für sich behalten.
Doch dann erfährt er, dass August Bebel, der wegen seines Eintretens für die Pariser Kommunarden in Festungshaft gesessen hat, in Bochum sprechen wird. Bebels rede wird der Beginn für Hardekopfs Begeisterung für die Sozialdemokratie.
1879 verschlägt es Hardekopf nach Hamburg. Er ist von der Stadt sofort begeistert und findet Arbeit als Eisengießer auf einer Werft. Kaum in der Hansestadt angekommen, trifft er auf den Trauerzug von 30.000 Menschen, der sich anlässlich des Todes von August Geib formiert hat. Geib gehörte zu den Gründern der Arbeiterbewegung und war einer der bekanntesten Hamburger Sozialdemokraten. Für Johann Hardekopf ist es, als würde sich ihm eine Tür öffnen. Die Sozialdemokratie wird für ihn zu einer Leidenschaft, die bis zu seinem Tod anhält. Auch seine Kinder und seine Frau werden später mit einbezogen. 
Doch Hardekopf erkennt, dass die Sozialdemokratie seinen Kindern und Schwiegerkindern weniger wichtig ist als ihm. Die größte Enttäuschung seines Lebens erfährt er, als der Kaiser 1914 die Mobilmachung verkündet: Die SPD organisiert zunächst noch Kundgebungen, stimmt dann aber Kriegskrediten zu.

Lesen?

Die Väter ist auch für diejenigen Leser interessant, die mit der Sozialdemokratie nichts anfangen können. Willi Bredel hat vieles aus der eigenen Biografie in seinem Roman verarbeitet und mit dem Eisengießer Johann Hardekopf eine Figur geschaffen, deren Lebensweg für den vieler anderer Menschen aus der Arbeiterklasse um die Jahrhundertwende steht. Der Roman entstand 1941 im Moskauer Exil und gilt als das beste Werk der Trilogie, die noch aus den Büchern Die Söhne und Die Enkel besteht.
Willi Bredel war in der DDR zehn Jahre Mitglied im ZK der SED und der Kulturkommission. Sein Eintreten für den Sozialismus in der DDR war so kompromisslos, dass er sich 1957 von seinem Freund Walter Janka, dem damaligen Leiter des Aufbau-Verlags, nach dessen Verurteilung wegen 'Boykotthetze' öffentlichkeitswirksam abwendete. Die 'Boykotthetze' war nach Artikel 6 der ersten DDR-Verfassung eine Straftat. Wer danach verurteilt wurde, verlor das aktive und passive Wahlrecht und durfte keine leitende berufliche oder Parteiposition mehr wahrnehmen. Janka hatte die Absetzung von Walter Ulbricht, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und freie Wahlen gefordert.
Das zu wissen, trägt dazu bei, Die Väter und den Autor einzuordnen. Lesenswert bleibt das Buch allemal.
Die Väter ist als E-Book für 8,99 Euro erhältlich oder kann über die Onleihe ausgeliehen werden.

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