23. Oktober 2010, Die Zeit fließt, 9.26 Uhr

Von Guidorohm

Die Zeit fließt in dich hinein. Sie flutet dich. Du läufst über mit Zeit. Sie läuft dir aus den Ohren, dem Mund, den Nasenlöchern. Du schwitzt die Zeit aus. Alles ist ganz nass von der Zeit. Rasch holst du einige Tücher. Trocknest die durchweichten Stellen. Weitere Zeit tropft auf die Tücher. Dann läuft sie plötzlich ab. Als hätte jemand einen Stopfen gezogen. Die Zeit läuft in die Kanalisation hinab.
Du solltest mal einen Regionalkrimi schreiben, sagt Martin, der heilige Martin, der ist Literaturagent und muss es wissen, darin sollte ein verschrobener Kommissar einen Fall auf dem Land lösen, sagt Martin, denn mit so einem Text wie diesem gewinnt man keine großen Vorschüsse, damit gewinnt man nicht mal einen Blumentopf. Er sagt das, während die letzten Zeitreserven glucksend in den Rohren verschwinden.
Das ist kein Mainstream.
Irak, rufe ich auf, wie kann man hier sitzen und sich beschweren, die Leute würden einen nicht lesen, wenn man nicht über das Leben der Leute schreibt.
Provinz, sagt Martin. Die Menschen wollen in die Provinz, die wollen sich beim nächsten Urlaub im Bergdorf ein wenig gruseln. Die machen keinen Urlaub im Irak, Schwachkopf.
Die Wirtschaftskrise, sage ich, über die müsste man auch mal einen Roman schreiben, auch über die Demonstrationen, über Hartz IV.
Ein Pfiff ertönt. Der Martin pfeift seine Hunde bei. Hier ist mein Geist, sagt er, dort ist Erding, der wird dich lektorieren. Ich habe euch einen Wagen besorgt und nun fahrt ihr hinab ins Dorf und sucht euch einen Mord und dann backt ihr mir aus den Dörflern, dem Mord, dem Sportplatz, dem Kommissar, der ein wenig trinkt, aber nicht zu viel, der ein wenig geschieden ist, aber nicht zu viel, einen Roman, den backt ihr mir bei Umluft, aber wehe, ihr lasst ihn mir anbrennen …
Ich schwitze bereits. Ich schwitze wieder Zeit aus. Was soll ich tun? Ich könnte mit dem Schreiben aufhören. Ich könnte Bäcker werden.
Du hast keine Zeit zu verlieren, sagt der heilige Martin.
Über die Zeit …
Papperlapapp, sagt er, darüber gibt es schon Bücher, großartige Romane, die wären zwar heute an keinen Verlag vermittelbar, aber die haben das Glück schon zu existieren.
Ich sollte über RTL 2 schreiben, sage ich, über Fußball, über die Schläge am Rand einer Familienfeier.
Schreib worüber du willst, aber schreib für den Markt.