Aber gibt es überhaupt eine europäische Literatur? Schließlich sind Sprachgrenzen auch Literaturgrenzen. Oder müssen wir Europäer das Miteinander erst lernen? Dieser Ansicht ist der slowenische Autor Aleš Šteger, schränkt aber sogleich ein, dass trotz des Miteinander die Europäer ‘nicht gleich denken, gleich fühlen oder an das Gleiche glauben’ müssen und sollen. Viel wichtiger sei es, einen kleinen Teil der Träume zu teilen. Ein schöner Gedanke, der letztlich die Literatur auf sich selbst verweist, wie auch Robert Menasses Einwand, dass Künstler Zeitgenossenschaft nur reflektieren, nicht aber produzieren. / Hans Koch, Süddeutsche 29.9.
Gleichwohl könnten sie Entwicklungen positiv beeinflussen. Das wäre der Fall, nähme etwa die Kulturpolitik europaweit Stegers Anregung auf, jedes Kind möge in der Schule mit zumindest fünf Gedichten aus anderen europäischen Literaturen vertraut gemacht werden. Von der Poesie sagt man zwar, sie vermöge selbst das Unsagbare auszudrücken, dennoch müssen die europäischen Literaturen, um sich etwaiger Gemeinsamkeiten bewusst werden zu können, zunächst über Sprachgrenzen hinweg zueinander finden.
Vgl. L&Poe 2010 Sep #107. Europäische Literaturtage