23. Eine katalanische Sappho-Rezeption

Von Lnpoe

Woche der altgriechischen Poesie in L&Poe 2.-8.4.

Von Àxel Sanjosé

Es wird kaum verwundern, dass Carles Riba (1893–1959) sich auch mit Sappho beschäftigte, hat er doch neben seinem lyrischen und essayistischen auch ein umfangreiches übersetzerisches Werk hinterlassen, in welchem die griechischen Klassiker einen Schwerpunkt bilden (u.a. die Odyssee, Aischylos, Sophokles und Euripides sowie Plutarch). 1914, also noch während des Studiums, schrieb er katalanische Versionen einiger Sappho-Fragmente nieder, die er später z.T. überarbeitete, die aber zu Lebzeiten nicht zur Veröffentlichung gelangten.

Ich gebe hier Ribas Fassung des Fragments LP 31 (in normalisierter katalanischer Rechtschreibung), dazu eine möglichst wortlauttreue deutsche Version:

Em sembla igual als déus aquell home qui s’asseu davant de tu i t’escolta de la vora, com dolçament parles
i rius amablement; la qual cosa m’esbalaeix el cor dins el pit, car totseguit que et miro, la veu tota se me’n va.
I la llengua se’m paralitza, i un foc subtil em corre per sota la pell, i no veig res amb els ulls, i hi ha un brunziment dins les meves oïdes.
I la suor em raja, i tota sóc presa de tremolor, i devinc més pàl·lida que l’herba, i tota semblo que estigui a punt de morir…

Den Göttern gleich scheint mir jener Mann, der sich vor dich hinsetzt und dir aus der Nähe zuhört, wie du sanft sprichst
und freundlich lachst; dieses nämlich bestürzt mein Herz in der Brust, denn sobald ich dich anschaue, bleibt meine Stimme ganz weg.
Und meine Zunge erstarrt, und ein leichtes Feuer läuft mir unter der Haut, und ich sehe nichts mit den Augen, und ein Schwirren ist in meinen Ohren.
Und der Schweiß rinnt, und ich bin ganz von Zittern erfasst und werde blasser als das Gras und sehe ganz so aus, als müsste ich gleich sterben …

Die Auseinandersetzung mit Sappho war für Ribas eigenes poetisches Schaffen offensichtlich von nachhaltiger Bedeutung. Neben mehreren Anspielungen auf die zitierte Sappho-Szene findet sich in der Nr. 32 seiner Estances (I) ein direkter intertextueller Bezug, der Zitat und poetologische Aufarbeitung zugleich ist. Interessant ist, wie die sapphischen Elemente reproduziert, aber zugleich verneint werden: Der Negativ-Aufzählung der sinnlich-körperlichen Phänomene, die sich aus der verstörenden Nähe der Angebeteten ergibt, folgt im Gegenzug, exakt zur Hälfte des Gedichts, ein (eher episch wirkendes) Bild, das eine Art mentaler Überwindung der erotisch bedingten Willens- und Sprachlosigkeit darstellt. Unmittelbarkeit und Reflexion, die sich, zumindest formal, die Waage halten: durchaus ein poetischses Programm. Auch hier füge ich eine wortlautnahe Übertragung hinzu, leider unter Komplettverlust der sehr kunstvoll miteinander verbundenen Alexandriner.

Tu apareixes. No la roja meravella
que per damunt ma galta fa un súbit llengoteig,
no el tremolor que ajup l’envanida parpella
i la paraula forta esderna en balbuceig,

són, oh Amor d’amors, l’essència del miracle
que, en seure prop de tu i oir-te, en mi es difon.
Oh, sabessis! dels pensaments, quin dolç sotrac la
turba perplexa ordena darrera el mur del front!

Així a l’assamblea dels ciutadans el guia
fiat obre les ales del seu discurs serè,
i d’home a home passa una ardent correntia
i alcen tots junts els braços amb un igual voler.

Du erscheinst. Nicht die rote Wundererscheinung,
das auf meiner Wange plötzlich züngelt;
nicht das Zittern, welches das eitle Lid senkt
und das starke Wort zu bloßem Stammeln zerschmettert,

sind, oh Liebe aller Lieben, das Wesen des Wunders,
das, wenn ich mich in deine Nähe setze und dir zuhöre, in mir sich ausbreitet.
Ach, wüsstest du nur! von den Gedanken, welch süße Erschütterung
die erstaunte Menge ordnet hinter der Mauer der Stirn!

So öffnet in der Bürgerversammlung der Anführer
vertrauensvoll die Flügel seiner wohlbedachten Rede,
und von Mann zu Mann überträgt sich eine glühende Strömung,
und alle erheben gemeinsam die Arme mit gleichem