23. April 2012, Hör zu, ja, dich meine ich, hör jetzt genau zu, 5.57 Uhr

“Das sind die schönen Momente des Lebens.”
“Was …?”
“Du hörst nicht zu.”
“Doch, doch, ich bin …”
“Sprich dich nur aus.”
“Ich bin nur durch Zufall auf diese Seite gekommen.”
“Was hat du denn gesucht?”
“Nichts.”
“Nichts? Und trotzdem bist du hier gelandet?”
“Na, wie das so geht. Du springst von Link zu Link und dann bist du plötzlich da.”
“Klingt, als hättest du einen Fluss überquert.”
“Irgendwie. Ja.”
“Und wie könnte man ihn nennen.”
“Wen jetzt?”
“Den Fluss?”
“Ich weiß nicht. Blödes Gespräch. Kann ich nicht weiter?”
“Ich wollte dir von meinem gestrigen Tag erzählen.”
“Warum sollte mich das interessieren, also nichts für ungut, aber muss man denn allen gleich alles …”
“Du bist hier in meinem Notizbuch gelandet. Es ist eben nur ein offenes Notizbuch, in das ich viel eintrage, in dem ich berichte, eben auch über meine Erlebnisse. Es ist auch so eine Art Tagebuch. Stell dir vor, du hättest es auf der Straße gefunden und nun könntest du es lesen.”
“Ich habe es aber nicht auf der Straße gefunden. Außerdem … Ich würde jetzt gerne weiter, weil ich … Termine, du verstehst?”
“Ist das Internet. Ist ein schnelllebiges Medium. Kurz Texte, viele Bilder. Es besteht aus lauter Absprungpunkten, um die Bewegung am Laufen zu halten. Nichts darf stocken. Immer weiter, weiter.”
“Müsste ich dann auch mal.”
“Ich wollte dir von meinem gestrigen Tag erzählen.”
“Da kommt bestimmt gleich einer, der es unbedingt hören will.”
“Saß mit meinen Jungs auf dem Sofa und habe ihnen aus einem Roman von Astrid Lindgren vorgelesen.”
“Ach!”
“Kennst du Astrid Lindgren?”
“Schreibt die …, warte … War bestimmt ein skandinavischer Krimi mit extra viel Folter und Blut.”
“Nicht ganz. Blut kam auch drin vor. Kalle Blomquist. Schon mal …”
“Klar. Der dreht diese wahnsinnig versauten Pornos. Ist ein Künstlername, glaube ich.”
“Nein, nein.”
“Jetzt muss ich aber wirklich, da drüben, ich würde diesen Link gerne benutzen. Ehe man sich versieht, funktionieren sie plötzlich nicht mehr und dann hängt man fest.”
“Du könntest bleiben.”
“Nicht an einem Ort, der sich Pathologie nennt.”
“Ist doch nur der Name meines Notizbuchs.”
“Seltsamer Name für einen Block.”
“Gab es einen bestimmten Suchbegriff, der dich zu mir führte?”
“Nein, habe ich doch schon gesagt. War eher bummeln. Hier gucken, da gucken.”
“Es gibt hier noch viele andere Texte …”
“Mann, du hast Leser wohl ziemlich nötig, was? Da drüben, der Link ist …. Den nehme ich jetzt. Hört sich ganz …”
“Hallo? Weg. Und jetzt? – Da! Hey!”
“Meinen Sie mich?”
“Ja. Sie haben sich gerade auf meine Seite verirrt.”
“Zufall. Reiner Zufall.”
“Ich würde Ihnen gerne von meinem gestrigen Tag erzählen.”
“Was?”
“Ja, das ist hier so eine Art offenes Notizbuch.”
“Offen? Was für eine Scheiße …? Komm ja nicht näher, du Freak.”
“Nein, ich tue … Hallo? – Na, dann erzähle ich es eben dir. Ja, dich meine ich. Ganz genau! Beug dich etwas nach vorne. Näher. Noch näher. Und jetzt hör zu, hör genau zu, also …”



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