Ein gespaltenes Land
Darren Matthews ist mit Haut und Haaren Texas Ranger. Eine ungewöhnliche Berufswahl, wenn man ihn sich ansieht: Er ist schwarz und kann sich oft nur deshalb Respekt gegenüber den Weißen verschaffen, weil er diesen Stern an seinem Hemd trägt.
Matthews hat zwei Semester eines Jurastudiums in Princeton hinter sich, hat sich aber wie sein Vorbild, sein Onkel William, für den Job als Texas Ranger entschieden. Das führt zu Problemen mit seiner Frau, der erfolgreichen Anwältin Lisa. Sie hat kein Verständnis für die Berufswahl ihres Mannes und ihn kurzerhand vor die Tür gesetzt.
Doch das ist nicht Matthews einziges Problem. Seit er versucht hat, einem guten Freund zu helfen, dem möglicherweise eine Mordanklage bevorsteht, läuft es für ihn auch beruflich nicht mehr rund.
In dieser verfahrenen Lage erhält er einen Anruf seines Kumpels Greg. Der arbeitet für das FBI und gibt Matthews den Hinweis, dass es in Lark, einem Dorf im osttexanischen Shelby County, kurz vor der Grenze zu Louisiana, zwei Tote gegeben hat: den schwarzen Anwalt Michael Wright und die weiße Kellnerin Missy Dale. Ihre Leichen wurden im Attoyac Bayou gefunden, der dicht an Lark vorbeifließt.
Lark ist ein fiktives 178-Seelen-Nest, in dem alles schon immer so war, wie man es bis heute kennt: Hinter der Geschichte der Schwarzen steht das Leben ihrer Vorfahren als Sklaven, hinter der Geschichte der Weißen das der "Herrenmenschen". Manche von den Weißen waren früher erfolgreicher als andere und hatten darum das Sagen; auch daran hat sich über Generationen hinweg nichts geändert.
Attica Locke zeichnet eine zunächst verworrene Verbindung zwischen den Bewohnern des Ortes nach, die ihren Anfang Jahrzehnte zuvor genommen hat. Sie belässt es nicht dabei, ihre Figur Darren Matthews der offensichtlichen Spur in die rassistische Szene der Aryan Brotherhood of Texas (ABT) zu folgen, sondern beschreibt, wie sich der Alltag anfühlt. Wird ein Schwarzer getötet, ist es so, als würde man einen Kieselstein ins Wasser werfen: Der Stein macht ein paar kleinere Wellen, die sich schnell verlieren und einer glatten Wasseroberfläche Platz machen. Morde an Weißen werden hingegen unerbittlich verfolgt. Für sie muss ein Schuldiger gefunden werden.
'Selbstverständlich' können die schwarzen Einwohner von Lark auch nicht in das von einem Weißen betriebene "Eishaus" gehen, ohne von der Kellnerin gefragt zu werden, ob sie sich verlaufen haben. Umgekehrt sind Weiße in "Geneva Sweet's Sweets", wo Schwarze nicht nur Teigtaschen essen können, sondern auch einen Haarschnitt bekommen, keine gern gesehenen Gäste. Man hat sich im Ort miteinander eingerichtet.
Doch Matthews will den Morden auf den Grund gehen. Dass er sich damit in Lark keine Freunde macht, ist keine Überraschung. Dass aber auch der örtliche Sheriff nicht durch Übereifer und Unterstützung glänzt, ist eine weitere Fußnote.
Rassentrennung bis heute allgegenwärtig
Attica Locke zeigt in einer atmosphärischen Schilderung, wie man sich die Verhältnisse in ihrer osttexanischen Heimat bis heute vorstellen muss. Die faktische Trennung zwischen Weißen und Schwarzen existiert bis heute und führt unter anderem dazu, dass man rasch nach einem schwarzen Schuldigen sucht, wenn sich ein Gewaltdelikt ereignet hat. Die unterschwelligen Ressentiments durchziehen jeden einzelnen Tag.
Doch es wird deutlich, dass Locke ihre Liebe zu ihrer Heimat, die sie trotz der erlebten Ungerechtigkeiten in sich trägt, in ihre Figur des Texas Rangers Matthews einfließen lässt. Und sie schafft es auf ganz besondere Weise, eine Kriminalhandlung mit einer Gesellschaftskritik zu verbinden.
Attica Locke hat für ihr Buch 2018 den Edgar Allan Poe Award gewonnen, den weltweit bedeutendsten Preis für Kriminalliteratur. Damit reiht sie sich in eine Liste auch hier bekannter Preisträger wie Stephen King, Minette Walters oder Ian Rankin ein.
Im selben Jahr gewann sie den Ian Fleming Steel Dagger Award für den besten englischsprachigen Thriller.
Bluebird, Bluebird ist 2019 in der deutschen Ausgabe beim Polar Verlag erschienen und kostet 20 Euro.
Der Polar Verlag hat auch dieses Mal sein "Händchen" für wirklich spannende Bücher bewiesen. Das zeigen auch die Titel, Über die ich hier bereits geschrieben habe:
Libreville von Janis Otsiemi
Brant von Ken Bruen
Ein einziger Schuss von Matthew F. Jones
So kam die Nacht von Estelle Surbranche