Töchter des Todes ist ihr neuester Roman, und dafür hat sich die Autorin viel vorgenommen. Die Geschichte, die Ulrike Blatter erzählt, ist nicht nur eine einzelne, für sich allein stehende Handlungsabfolge, sondern es sind vielmehr mehrere miteinander verwobene Schicksale, in die die Menschen manchmal einfach hineingeschubst worden sind. So, wie es bei dem bosnischstämmigen Ehepaar Edin und Kristina Hodžić der Fall ist, das die Flucht vor dem Balkankrieg in das beschauliche und friedliche Taufingen verschlagen hat. Die muslimische Religion spielt in ihrem Leben keine Rolle, die beiden Töchter Semina und Aylin wurden in Deutschland geboren, die Familie ist in die Gemeinschaft integriert. Die Eltern wollen, dass aus ihren Kindern etwas Vernünftiges wird und spornen sie an, in der Schule und im Studium Leistung zu zeigen. "Glaub ja nicht, dass die Welt gerade auf dich gewartet hat!", wird für die beiden Schwestern zu einer der meistgehörten Ermahnungen.
Doch dann öffnet Aylin den Facebook-Account ihrer älteren Schwester Semina. Sie schaut in ein mit einem Niqab vollverschleiertes Gesicht, in dem sie nur die Augen wiedererkennt. Semina hat dort ihren Standort mit "Syrien" angegeben. Von diesem Tag an ändert sich fast alles: Seminas Verschwinden spricht sich im Ort rasch herum, die selbsternannte Investigativpresse gießt mit unbewiesenen Behauptungen fleißig Öl ins Feuer. Als wenige Tage später ein Selbstmordattentat auf eine Taufinger Metzgerei verübt wird und Zeugen eine in einen schwarzen Niqab verhüllte Frau gesehen haben, sind sich praktisch alle Einwohner einig, dass Semina für diese Tat verantwortlich ist. Es wird in der Öffentlichkeit sogar vermutet, dass sie in Deutschland war, um für den IS junge Frauen anzuwerben.
Die Familie Hodžić ist nun sozial isoliert, Kristina ist an ihrem Arbeitsplatz, einem Kindergarten, nicht mehr erwünscht und sogar ihre beste Freundin wendet sich von ihr ab. Die Familie erhält Drohungen, und Edin beginnt plötzlich wieder zu beten und verschwindet immer wieder ohne eine Erklärung. Zu der Angst um Semina kommt nun noch die um den Vater und Ehemann hinzu. Hatten sie es in der Vergangenheit als "gemischtes" Paar im ehemaligen Jugoslawien nicht schon schwer genug?
Die Handlung wird noch von weiteren Figuren getragen: Aylins Freund Jordan, der mit seiner dunklen Haut und seinen schwarzen Haaren mit Vorbehalten konfrontiert wird, ist durch seine Vergangenheit traumatisiert und kämpft immer wieder gegen das, was er "das Biest" nennt.
Jordans größter Kontrahent ist Sven; der junge Mann macht keinen Hehl aus seiner rechten Gesinnung.
Parallel zu den Geschehnissen in Taufingen wird auch die Geschichte von der jungen Deutschen Star und ihrem Mann Luan erzählt. Beide hatten sich mit völlig falschen Vorstellungen dem IS im syrischen Rakka angeschlossen, dann aber desillusioniert ihre Flucht geplant. Sie wollten ihrem trostlosen Leben entfliehen, um dann zu erleben, dass sie direkt in der Hölle gelandet waren. Doch sie werden in der Wüste von einer Patrouille aufgegriffen und sehen ihrem sicheren Tod entgegen. Erst gegen Ende des Buches wird deutlich, wo der Zusammenhang zwischen ihnen und Seminas Verschwinden ist.
Wie war's?
Ulrike Blatter hat mit Töchter des Todes einen hochaktuellen Roman geschrieben, in dem sie den Fokus auf Themen lenkt, über die derzeit ständig diskutiert wird: Flucht und Vertreibung, Terrorismus, Fremdenhass, Vorurteile, Zivilcourage, Korruption, Kriminalität und die Verpflichtung der Medien, über Sachverhalte wahrheitsgemäß zu berichten.Am Ende des Buches ist nichts mehr so, wie es zu Anfang schien.
Der Roman ist an jeder Stelle spannend geschrieben und nimmt den Leser durch seine eindringliche Sprache mit in die Welt, in der die einzelnen Personen leben - mit ihren Gefühlen, Nöten und ihrer Vergangenheit. Klare Leseempfehlung für ein Buch, das uns einen Spiegel vorhält.
Töchter des Todes ist im Leinpfad Verlag erschienen und kostet als Taschenbuch 14 Euro sowie als E-Book 10,99 Euro.