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Von Feder

Wer sich an diesem ersten Novemberwochenende in Großbritannien aufhält, wird sich vielleicht fragen, ob er eventuell Silvester verschlafen hat, denn der allabendliche Himmel ist von nun an für mehrere Tage von gigantischen Feuerwerksexplosionen erhellt. Sobald die Dämmerung einsetzt, knallt und zischt es in Fußballstadien, auf Cricketfeldern, in Freizeitparks und Privatgärten. Dazu knistern landesweit haushohe Lagerfeuer, an denen kandierte Äpfel und süße Ingwerküchlein gereicht werden. Aber keine Sorge, das derzeitige Spektakel hat mit Silvester überhaupt nichts zu tun. Das Land macht sich bereit für die Bonfire Night, die jährlich am 5. November begangen wird. Ein Ereignis mit langer historischer Tradition. Aber was steckt eigentlich hinter diesem jährlichen Spektakel?

Es geht zurück auf eine Verschwörung gegen das englische Königshaus. Am 5. November 1605 plante eine Gruppe katholischer Extremisten das englische Parlament in die Luft zu sprengen, um die protestantische Regierung James I. (1566-1625) aus dem Weg zu räumen. Hierzu platzierte der Sprengstoffexperte der Gruppe, ein gewisser Guy Fawkes (1570-1606), 36 Fässer Sprengstoff in den Kellergewölben des House of Parliament. Doch die Sache flog auf und die Verschwörer wurden festgenommen, gefoltert und zum Tode verurteilt. James I. wies daraufhin seine Untertanen an, jedes Jahr am 5. November landesweit Lagerfeuer anzufachen, um den missglückten Anschlag zu zelebrieren. Heute werden hierzu oft auch Straßenumzüge veranstaltet, bei deren Höhepunkt originell gestaltete Guy-Fawkes-Puppen verbrannt und Feuerwerke entzündet werden. Ein bekannter Reim hielt den sogenannten Gunpowder Plot auch poetisch fest:

“Remember, remember
the Fifth of November
Gunpowder, treason and plot;
I see no reason
why gunpowder treason
Should ever be forgot.”

Bis heute werden vor der jährlichen Parlementseröffnung die Kellergewölbe des House of Lords symbolisch inspiziert.

The Discovery of the Gunpowder Plot and the Taking of Guy Fawkes (c. 1823) von Henry Perronet Briggs

Auch wenn heute erst der 3. November ist, will ich mir das Ganze einmal aus der Nähe anschauen und mache mich in diesem Jahr auf den Weg nach Birkenshaw, einem Dorf in der Nähe von Bradford. Hier befindet sich die Haupteinsatzzentrale der Feuerwehr von West Yorkshire, die in diesem Jahr ein riesiges Lagerfeuer und eine Feuerwerksshow mit angeschlossenem Jahrmarkt und allerlei Imbissbuden veranstaltet. Vermutlich gibt es keinen sichereren Ort als diesen, um mit dem Feuer zu spielen. Für den Eintritt müssen wir ganze sechs Pfund hinblättern und schnell wird klar, dass meine Erwartungen von einem wärmenden Plätzchen am Feuer mit selbst gegrillten Würsten am Stock nicht erfüllt werden würden. Denn das meterhohe Lagerfeuer ist komplett abgeriegelt. Absperrband und ein Sicherheitsabstand von mindestens hundert Metern im Umkreis lassen kaum eine magisch-romantische Atmosphäre zu, wie sie beispielsweise bei Lagerfeuernächten auf Zeltplätzen entsteht.

Ich blicke verstört zu meinen beiden englischen Freunden, die mir mit verzogenen Mundwinkeln erklären: „Du siehst, uns Engländern kann man nicht trauen.“ Was sie meinen, ist wohl, dass ohne diese Vorkehrungen das halbe Dorf verbrennen würde. Hat in diesem Land eigentlich keiner je Kant gelesen? Die Unmündigkeit des Bürgers, hier scheint sie noch gut Wurzeln zu schlagen. Ich blicke mich enttäuscht um, in der Hoffnung, doch noch einen Hauch von Urtümlichkeit auszumachen. Der Platz vor dem Feuer ist voller Menschen. Eltern mit unruhig zappelnden Kindern auf den Schultern, die grell leuchtende Plastikstäbe in den senfbeschmierten Fingern halten, beobachten Feuerwehrmänner dabei, wie sie morsche Holzpaletten in die lodernden Flammen werfen. Direkt hinter uns hupt ein gelangweilter Brigadier in einem knallroten Feuerwehrauto. Ich frage mich, ob dieses Hupkonzert das als Live-Musik ausgepriesene Zusatzangebot darstellen soll oder eher doch die aus einer der Imbissbuden dringende Katy-Perry-Endlosschleife.  Mir ist langweilig. Doch dann blitzt etwas hinter den hohen Baumkronen auf. Winzige Lichtexplosionen erhellen den wolkenverhangenen Abendhimmel. Das nicht ganz so lautstarke Feuerwerk für die Kleinen hat begonnen. Doch da es direkt hinter hochgewachsenen, weit ausladenden Laubbäumen gezündet wird, verpufft der Effekt sofort. Ich schwitze furchtbar unter meinem dicken Wintermantel und ich ärgere mich, dass ich mal wieder auf den englischen Wetterbericht reingefallen bin. Eine halbe Stunde später, inzwischen habe ich mir einen riesigen Hotdog zwischen die Backen gestopft, beginnt das eigentliche Feuerwerk und das ist tatsächlich sehenswert. Zum Glück trage ich Kontaktlinsen, denn um mich herum höre ich Menschen murren, denen heiße Glut in die Augen geraten ist. So sehe ich zudem deutlich all die farbenfrohen Blitze und glitzernden Explosionen, die den Nachthimmel eine halbe Stunde lang erleuchten.

Dann ebbt das Spektakel urplötzlich ab, die Masse applaudiert und wir verlassen das Feuerwehrgelände in eine dichte Rauchwolke gehüllt, vorbei an einem lieblos hochgezogenen Rummelplatz, mit gemischten Gefühlen. Am Ausgang verscherbeln munter gelaunte Feuerwehrmänner erotische Kalender mit halbnackten Lokalschönheiten. Ganz stolz über ihre emanzipatorische Errungenschaft verkünden sie, dass sie ebenfalls einen Kalender für Frauen bereithalten.

„Das nächste Mal gehen wir nach Leeds“, verkündet meine Freundin Helen kopfschüttelnd und entschuldigt sich ganz englisch noch fünf Mal dafür, dass alles ein wenig trashy war. Ich stimme ihr zu. Vielleicht muss man auch nicht alles gut heißen, was als Lokalkultur ausgepriesen wird. Jedoch habe ich schon oft diese düstere Form einer fast endzeitlich anmutenden Jahrmarktkultur in England entdeckt. Ein schnelles Vergnügen auf ramponierten Karussels und drumherum drapiert jede Menge glitzernder Plastikschrott. Es will mir einfach nicht einleuchten, wie ein Völkchen, dass einerseits wie kaum ein zweites auf der Welt so stark traditionell verhaftet ist, andererseits so sehr dieser Art von Ramschkultur verfallen sein kann. Ich bin erleichtert als wir uns schließlich in eine kuschelige Herbstnacht in einem urenglischen Haus mit Kamin, Glühwein und Katzengeschnurre verabschieden. Diese urige Komponente der englischen Abendunterhaltung liegt mir irgendwie mehr.

Noch mehr England-Lektüre gefällig? Dann lege ich dir mein neues Buch ans Herz: „Kopflos auf dem Pennine Way – Eine Berlinerin in der englischen Wildnis“. Als E-Book, Hardcover oder Taschenbuch hier erhältlich:

„Kopflos auf dem Pennine Way – Eine Berlinerin in der englischen Wildnis“

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