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Von Feder

Der Sommer ist offiziell zwar vorüber und hier in Yorkshire spürt man das temperaturmäßig auch schon ziemlich arg, aber das bedeutet noch lange nicht, dass der Engländer seine Winterkluft vom Dachboden kramt oder sich

mit einer heißen Tasse Tee an den häuslichen Kamin zurückzieht. Nein, gerade jetzt, wo das Wetter noch unberechenbarer ist, die Regenwahrscheinlichkeit alarmierend hoch, da herrscht erst recht Partystimmung hier im Norden und die Festivalsaison läuft auf Hochtouren. So geschehen zum Beispiel an diesem Wochenende in Bingley, einem kleinen Vorort Bradfords in West Yorkshire. Bingley Music Live nennt sich das dreitägige Event, bei dem Rock-, Pop- und Indiefans auf ihre Kosten kommen. Vor allem regionale Bands wie die Ligtning Seeds aus Liverpool, die den Fußball-Hit „Three Lions“ mit den berühmten Zeilen „football`s coming home“ komponierten oder die schottische Rockband Travis lassen den Myrtle Park vibrieren. Gesponsert wird das Festival übrigens seit 2007 nicht mehr von der knauserigen Musikindustrie, sondern vom Bradford City Council.

Wir haben uns Karten für den ersten Festivaltag besorgt, die mit 38 Pfund nicht allzu billig sind, wenn man noch Drinks und Snacks hinzurechnet, aber für mein erstes englisches Festival bin ich gerne bereit, mal etwas tiefer in die Taschen zu greifen. Gleich am ersten Tag hier aufzutauchen und nicht erst am belebteren Samstag hat gleich mehrere Vorteile: der Rasen ist noch keine Matschpartie, die Leute noch nicht vergnatzt aufgrund mieser Campingbedingungen, die Schlangen vor den Imbissbuden halten sich in Grenzen und man hat jede Menge Platz zum Tanzen. Auch wenn wir uns angesichts massenweise anrückender Teenigeschwader etwas älter fühlen als sonst, nach ein paar Pappbechern voll mundender Spirituosen verschwimmen die Generationengrenzen wie von selbst.

Bereits im Eingangsbereich wird das Publikum musikalisch eingestimmt. Hier singt sich ein unglaublich talentierter junger Mann in Jeanshemd und mit Klampfe die Seele aus dem Leib. Während sich meine Füße bereits jetzt rythmisch vom Boden lösen, beobachte ich die sich brav einreihenden Engländer um mich herum und staune nicht schlecht über die modische Freizügigkeit der weiblichen Jugend. Trotz kühler 15 Grad scheinen Jacken vollkommen aus der Mode gekommen zu sein, die bis knapp über den Bauchnabel reichenden T-Shirts sitzen nicht nur stretcheng and Dick und Dünn, sondern sind auch noch zu hundert Prozent lichtdurchlässig, die Shorts so knapp geschnitten, dass die blanken Pobacken hervorblitzen. Orangenhaut scheint sich hier schon in sehr jungen Jahren durchzusetzen, aber absolut niemand stört sich daran. Das finde ich ziemlich vorbildhaft. Was für ein Befreiungsschlag für die von Hochglanzmagazinen geknechtete Frauenwelt. Die englischen Mädels machen es uns vor. Die reale Frau hat eben ihre Dellen und Unebenheiten. So ist das eben!

Auf dem Festivalplatz, der mit allerlei wahnsitzigen Karussels und dampfenden Currybuden gespickt ist, herrscht gegen 15 Uhr noch nicht allzu viel Betrieb. Der heutige Tag steht voll und ganz im Gedenken an David Bowie, dessen Songs zwischen den Bands aus den Lautsprechern schallen. Doch seltsamerweise scheint der neueste Kopfschmucktrend weniger in schrill bunten Perücken zu bestehen, sondern in blumigen Hippihaarbändern und neonfarbenen Klecksen im Gesicht. Doch wir entdecken auf der sich langsam füllenden Konzertwiese dann doch noch ein paar waschechte Bowie-Doubles, die sofort ins Zentrum des jugendlichen Selfie-Wahns rücken und für hunderte Instagram- und Facebook-Posts herhalten dürfen.

Im Grunde kenne ich keine einzige der auftretenden Bands beim Namen, bin aber ziemlich begeistert von einer karibischen Performance um den DJ und Musikproduzenten Sigala. Die akrobatischen Tänzer und Sänger haben das Publikum im Sturm erobert und lassen als Dankeschön lauter bunte Wasserbälle und aufblasbare Palmen durch die Menge schießen. Ein ziemlich gerissener Trick, um das Publikum bei Laune zu halten und bis auf ein paar Kinder, die auf Papis Schultern das einmal gefangene Badespielzeug nicht wiederhergeben wollen, ein richtig gutes soziales Zusammenspiel.

Leider sind die Pausen zwischen den Bandauftritten schon mal gern eine Stunde lang und auch nicht jeder Act weiß das Publikum mitzureißen. Enttäuschend war daher auch der so gepriesene Auftritt der britischen  Kultband Ecco and the Bunnymen, die eigentlich als Headliner angekündigt waren. Deren überholte Altrockerattitüde, die eher lahmen Klänge und die fehlende Interaktion mit dem Publikum waren eher nicht so mein Fall.

Alles in allem war es aber ein gelungenes Festival mit einer ausgezeichneten Klangqualität, sehr guter Versorgungslage, gepflegter sanitärer Einrichtungen und äußerst zuverlässiger und hilfsbereiter Sicherheitskräfte, die regelmäßig durch die Reihen gingen, um nach dem Rechten zu sehen.

Leider aber liegt das Gute oft sehr nah am Schlechten und der Abend endete für uns leider in einem furchtbaren Unglück. Kurz vor Ende des letzten Acts ging plötzlich ein gewaltiger Ruck durch unsere Reihe, wobei mehrere Personen stolpernd übereinanderstürzten. Der Vater meines Engländers brach sich dabei unglücklich den Arm und wir verbrachten die halbe Nacht im Krankenhaus. Dank der schnell reagierenden Sanitäter und bedacht handelnder Sicherheitskräfte  konnte zum Glück weitaus Schlimmeres verhindert werden. Der Arm ist inzwischen vergipst und allen Beteiligten geht es gut. Der Schock darüber, wie schnell ein so ausgelassener Abend sich so schlagartig ins Gegenteil verkehren kann sitzt tief und wir werden wohl noch eine Weile brauchen, um darüber hinwegzukommen. Aber dennoch möchte ich mein erstes englisches Festival auch in guter Erinnerung behalten und habe mich deswegen trotz des Unglücks nach einigem Zögern dazu entschieden, doch darüber zu schreiben.

Warst du schon mal auf einem englischen Festival? Was sind deine Erfahrungen? Teile deine Gedanken und schreibe mir einen Kommentar. Ich freue mich auf jede Nachricht und antworte gern darauf!

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