WEIMAR. (fgw) Die ostthüringische Stadt Weida zählt heuer etwa 7.600 Einwohner und verfügt über drei Kindergärten, allesamt in sogenannter “Freier Trägerschaft”. Wobei sich hinter den “freien Träger” auch hier vorrangig kirchliche Träger verstecken: die Diakonie und die Johanniter. Wie in ganz Thüringen dürfte sich auch in Weida der nicht-christliche Bevölkerungsanteil auf mehr als zwei Drittel belaufen. Im reziproken Verhältnis dazu steht der Anteil “christlicher” Kindergartenplätze… Nun ja, es gilt ja hierzulande die Missionierung der Heiden durchzusetzen, damit die sich nach 40 Jahren DDR einbleuen lassen, daß nur der Kapitalismus (wie zuvor Feudalismus und Sklaverei) gottgewollte Ordnungen seien. Gelingen kann das nur, wenn man damit bereits im Kleinkindalter beginnt. Ganz wie im Mittelalter heißt es also auch 2012 wieder: “Damit alles so bleibt, wie es ist!” Wobei man in der Stadt Weida sogar schon ein Stückchen weiter ist auf dem Wege zurück in die Vergangenheit…
Das mittelalterliche Weltbild – es beherrscht immer noch die Köpfe der Theologen, gerade was gesellschaftliche Verhältnisse angeht.
In der Bundesrepublik geht, so das Grundgesetz und alle Länderverfassungen, alle Macht vom Volke aus. Und da wir eine Demokratie sind, liegt, salopp gesagt, die Macht in den Händen der Parlamente und kommunalen Vertretungen. So die Theorie! Aber nicht so der Theologe!
Die “Ostthüringer Zeitung” (OTZ) berichtete am 7. August 2012 über eine Sitzung des demokratisch gewählten Stadtrates. Dort ging es um einen Antrag der LINKS-Fraktion, die drei Kindergärten der Stadt in absehbarer Zeit wieder in kommunale Trägerschaft zu nehmen.
Die von dieser Fraktion “unterzeichnete Beschlussvorlage zielte darauf ab, die Verträge mit den freien Trägern Awo und Diakonie zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu beenden. Da für die Johanniter-Kita ein Erbbaupachtvertrag für 99 Jahre besteht, sollte zu dieser gesondert beraten werden, hieß es. Ines Zipfel hatte vor allem wirtschaftliche Gründe ins Feld geführt und vorgerechnet, dass man bei kommunaler Trägerschaft Einsparungen erzielen könne und nannte als Beispiel die Nachbargemeinden wie Wünschendorf, Steinsdorf oder Hohenölsen. Dort würde zudem nach Tarifvertrag bezahlt”, so die OTZ.
In der Stadtratssitzung hatten Vertreter der “Freien Träger” Rederecht erhalten. In der OTZ heißt es dazu: “Barbara Görler als Leiterin der Johanniter-Kita brach für ihre Einrichtung ebenso eine Lanze wie Marion Urban für den Kindergarten der Diakonie, der nach evangelischem Leitbild arbeite. Pfarrer Schäfer lasse ausrichten, informierte sie, dass es in Weida auf jeden Fall weiter eine evangelische Kindereinrichtung geben werde, ‘egal wie die aussehe’.”
Und hier zeigt sich das mittelalterliche Weltbild des Theologen, der Priesterkaste allgemein, in großer Deutlichkeit: Der geistliche Herr läßt also ausrichten, denn man ist ja wie vor der französischen Revolution von 1789 der “Erste Stand” und thront sogar noch über dem Adel, äh, der “Politischen Klasse”, und bestimmt, was Sache ist. Und egal, was die Volksvertreter beschließen, werde man machen, was man will. Naja, Gottes Wille steht ja auch über Volkes Wille…
Und so vermeldete die OTZ auch ganz nüchtern, daß, nachdem der Wille des Herrn Pfarrer ausgerichtet worden war, eine deutliche Mehrheit der Stadtratsmitglieder dem “Ansinnen” der gottlosen LINKEN eine “klare Abfuhr” erteilt habe.
Die gewählten Damen und Herren “Volksvertreter” folgten dann auch der bundesweit von der Priesterkaste wie ein Mantra vorgetragenen Argumentation: “Gunnar Raffke (CDU) dagegen bezweifelt, ‘dass finanziell was rauskommt’, wenn die Stadt die Trägerschaft übernehmen würde.” Noch einen drauf setzte der Stadtrat der Freien Wähler: ‘Weiß Frau Zipfel eigentlich, dass sie als Stadträtin der Stadt verpflichtet ist’, fragte Heinz Hopfe (FWG) und forderte ebenso wie Bürgermeister Werner Beyer (parteilos) unmissverständlich dazu auf, die Beschlussvorlage abzulehnen.”
Nun, da verkennen beide Herrn wohl, was es heißt, der Stadt und ihrer überwiegend religionsfreien Bürgerschaft verpflichtet zu sein: Nämlich sich für eine religiös und weltanschaulich neutrale Erziehung und Bildung aller Kinder in Gemeinschaftseinrichtungen einzusetzen. Zumal ja auch die sogenannten kirchlichen/christlichen Kindergärten zu mindestens 90 Prozent aus öffentlichen Kassen finanziert werden. Die Praxis sieht bundesweit so aus: Die Allgemeinheit hat “kirchliche Wohltätigkeit” bis zu 100 Prozent zu finanzieren, aber in Bezug auf Inhalte der “kirchlichen” Einrichtungen absolut nichts zu sagen.
Ein journalistischer Grundsatz verlangt die Trennung von Nachricht und Kommentar. Die berichtende OTZ-Journalistin hat sich daran gehalten, der letzte Satz in ihrem Artikel lautet, hier zitiert sie eine Stadträtin der kirchenhörigen Ablehnungseinheitsfront, so: “Es soll alles so bleiben, wie es ist.”
Nun, besser als mit Nachricht selbst kann man diesen Weg zurück ins Mittelalter in unserer de-facto-Theokratie Deutschland aber gar nicht kommentieren.
[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]