20. Grolsch Bluesfestival, 11.06. & 12.06.2011 in Schöppingen – Bericht

20. Grolsch Bluesfestival, 11.06. & 12.06.2011 in Schöppingen – Bericht

Tag 1, Pfingstsamstag

Von überall sind sie hergekommen, die Autokennzeichen auf dem Campingplatz verraten dies: Aus der gesamten Republik, aber auch aus dem Ausland: Niederlande, Belgien, Schweiz, Dänemark.

Das Schöppinger Grolsch Bluesfestival ist zu einer festen Institution geworden. Was vor 20 Jahren mit einer selbst gebastelten Bühne begann, genießt mittlerweile in der Blueswelt auch international gesehen einen mehr als guten Ruf.

Für die Künstler bietet die Bühne in Schöppingen eine gute Gelegenheit, sich auch einmal in Deutschland einem großen Publikum zu stellen.

Leider schaffe ich es nicht den Opener, das deutsche Blues- Urgestein Tom Vieth & Frinds zu sehen. Als ich das Festivalgelände erreiche ist bereits Roland Tchakounté auf der Bühne. Mit seiner hypnotisch wirkenden Art, afrikanische Wurzeln mit amerikanischem Blues zu verweben, schafft der in Kamerun geborene und jetzt in Frankreich lebende Musiker mit seinen beiden Begleitern Mick Ravassat (Gitarre) und Mathias Bernheim (Drums und Percussion)gleich zu Beginn des Festivals eine magische Atmosphäre, der man sich nicht mehr entziehen möchte.

Der nächste Künstler ist Ryan McGarvey. Der aus Albuquerque, New Mexico, stammende Gitarrist und Sänger ist Europaneuling. Seine erste CD „Forward In Reverse“ erschien bereits vor vier Jahren und wurde hierzulande lange als Geheimtipp gehandelt. Aus diesem äußerst gelungenem Debüt hören wir an diesem Samstagnachmittag eine Reihe Songs.

Ryan McGarvey ist nicht nur ein begnadeter Gitarrist und Sänger, er weiß auch, wie er seinen ausgetüftelten Sound in den Griff bekommt und ihn auch dort hält. Stilistisch schimmern immer wieder Stevie Ray Vaughan oder Jimi Hendrix durch. „Joyride“ ist eine Spritztour durch die Gefilde des Texasblues und „Mystic Dream“ bietet den Soundcollagentrack mit der Lizenz zum Abdriften, na, wohin du willst. Authentischer Blues? Nicht unbedingt bei diesen Titeln.

Aber Mr. McGarvey schüttelt dann mal eben „Cryin’ Over You“ aus dem Ärmel und bringt schon mit den ersten Takten auch den letzten Zweifler auf seine Seite. Immerhin wurde dieser Song in New Mexico zum „Bluessong Of The Year“ erkoren.

In dem Flitzefingertitel „Texas Special“ zieht Ryan seinen imaginären Stetson vor seinen texanischen Heroen wie Stevie Ray Vaughan und Freddy King.

Ein erstklassiges Europadebüt.

Nach diesem mitreißenden Soundgewitter geht es dann weiter mit John Nemeth und seiner Band. Stilistisch der perfekte Kontrapunkt zum Vorgänger. Soulig angehaucht, in Gefilden des R & B angesiedelt, aber auch im klassischen Chicagoblues zu Hause, John Nemeth’s klare Stimme, sein grandioses Harpspiel, das Ganze unterstützt durch eine brillante Band, was will man mehr?

Von den Qualitäten dieser Formation konnte ich mich dieses Jahr schon zwei Mal auf anderen Festivals überzeugen.

Persönlich hätte ich mir allerdings mehr Freiräume für John Nemeth’s Gitarristen, A. C. Myles gewünscht, der weiß Gott einer der Besten (für mich Neuen) ist, die mir in letzter Zeit begegnet sind. Mit sehr hoher Präzision und mit einzigartigem Feeling spielt er seine Begleitlicks und lässt in den (viel zu) kurzen Soli seine wahre Bestimmung immer wieder durchschimmern.

Rory Gallagher ist für ihn das Nonplusultra, wie er mir bei einem Bier nach dem Gig erzählt. „Bist du dann hier in der richtigen Band?“, frage ich etwas ungläubig. „Na ja, hier kann ich eine Menge lernen, es war außerdem mal wieder Zeit für etwas anders.“, lacht A.C. Ich bin gespannt, ob wir ihn irgendwann mit einem eigenen Projekt erleben werden.

Backstage rollt ein Van mit niederländischen Kennzeichen heran. Ana Popovic und Band sind angekommen. Sie werden hier und heute mit Mike Zito auf der Bühne stehen. Die von vielen zur Göttin erhobene Ana lässt einen Gott neben sich agieren. Ich bin gespannt auf das Zusammenwirken der Beiden.

Beide sind ausgewiesen sehr gute Gitarristen. Das steht außer Frage. Die Band wird verstärkt durch einen Saxofonisten und einen Posaunisten.

Ich will nicht lange drumherum reden: Bei mir (und vielen anderen, mit denen ich nachher spreche) kommt der erhoffte zündende Funke nicht an. Technisch läuft die Show bis auf ein paar kleine Abstimmungsschwierigkeiten sauber ab. Die Band pusht ihren Mix aus Soul, Funk und Blues ins Publikum. Ana und Mike teilen sich die Gesangs- und die Gitarrensoloparts. Alles sicher und volltrefflich, doch Herr Gardner ist vielleicht zu verwöhnt und etwas zu kritisch, als dass er nun in Jubelstürme ausbricht.

Mike Zito habe ich mit seiner Band vor ein paar Monaten live erleben können. Für mich eins der tollsten Konzerte in diesem Jahr. Da klangen seine Songs weitaus wuchtiger und authentischer. Für mich eine gern gegebene Weiterempfehlung.

Lil’ Ed (Williams), ein Neffe des großen J.B. Hutto, ist ein Mann der gerne lacht. Das tut er schon bei seiner Ankunft am Nachmittag.

Selbst auf der Bühne lacht er. Warum? Der Mann hat Spaß. Einen Riesenspaß und der schwappt nach den ersten Riffs auf seiner betagten mit „Pamela“ beschrifteten Gitarre direkt ins Mark der geneigten Zuhörerschaft.

Wahrlich, ich sage euch: Hier steht jemand, der den Blues lebt und spielt. „Compact Man“ ist einer seiner Titel. Eine treffendere Selbstbeschreibung hätte man nicht finden können. Ein kompakter, kleiner Mann mit einem riesigen Feeling für die Musik und einem Sound, der schmutziger wohl komm geht. Hach, so etwas Labsal für meine Ohren.

Mit seinen drei Begleitern, den Blues Imperials spielt sich der kleine Ed locker auf meine persönliche Nummer Eins an diesem ersten Festivaltag. Hier stimmt alles: Sound, Songauswahl, Groove. Es ist die richtige Musik, um mit einem tollen Gefühl und bester Laune das Festivalgelände zu verlassen.

Auf dem Campingplatz steigen noch diverse „Aftershowparties“. Hundemüde, aber glücklich, krabbele ich gegen drei Uhr ins Zelt und träume mich dem zweiten Festivaltag entgegen.

Tag 2, Pfingstsonntag

Der Generationenkonflikt ist wichtig. Die Jugend sucht und geht eigene Wege, um sich von der Tradition der Altvorderen abzusetzen. Gut so. Hätten wir heutigen 50plusler sonst jemals Jimi Hendrix, die Rolling Stones oder Deep Purple (um nur ein paar zu nennen) zu unseren Göttern erhoben?

So sehe ich mich heute mit einer jungen Truppe von Musikern um die charmante, 19- jährige, französische Sängerin Nina Attal konfrontiert.

Das Handwerk stimmt bei allen auf der Bühne. Die Stimme ist mir persönlich ein wenig zu piepsig (das kann ja noch werden, aber wieso muss ich immer an „Joe, Le Taxi“ von Vanessa Paradis denken?) und die Bühnenschow erinnert eher an die frühe Madonna. Generationenkonflikt eben. Die Stilrichtung geht ins Funkige. Durchaus tanzbare Musik. Es ist aber nicht mein Ding. Man sieht es mir an. Und ich sage es frei heraus. Aber andere sehen und hören das anders und das ist auch gut so.

Nina Attal wird vom Publikum gefeiert, der Applaus ist riesig. Das gibt auch den Programmverantwortlichen Recht, einmal etwas gewagtere, neue Wege zu gehen.

Wie um meine ganze Theorie um den Generationenkonflikt sofort wieder über den Haufen zu werfen schicken mir die Veranstalter gleich danach die niederländische Band DeWolff auf die Bühnenbretter.

Allesamt sind die Drei aus Geleen jeweils unter 20 Jahren: Pablo van de Poel (Gitarre, Gesang), sein Bruder Luka van de Poel (Schlagzeug) und Robin Piso (Orgel, Bass, Theremin, Gesang).

Theremin? Die Jungs haben ein komplettes Vintage Equipment auf der Bühne. Amps, Hammondorgel und eben ein Theremin. Das ist wohl das einzige Musikinstrument, das man spielen kann, ohne es zu berühren. Für den Laien mag es aussehen wie ein Radio mit einer Antenne. Auf Bühnen sieht man es auch kaum. Aber wer einmal „Good Vibrations“ von den Beach Boys gehört har oder „Whole Lotta Love“ von Led Zeppelin, kennt zumindest den singenden Sound. Mehr Infos hier…

Leute, die im Vorfeld noch nie etwas von DeWolff gehört haben, sind überrascht. Ich kenne zumindest 2 CDs von ihnen. Dennoch bin ich überrollt von dem Soundgewitter, das die Drei von der Bühne auf uns hernieder prasseln lassen. „Das ist ja Musik wie früher!“, jubele ich. In der Tat, die Jungs spielen die Musik, die ich gehört habe, als ich so alt war wie sie jetzt.

Generationenkonflikt? Den tragen die Youngsters höchstens mit ihrer eigenen Lady -Gaga -Generation aus, nicht aber mit der meinen.

Wow! Das sitzt! Die Hammond wummert, der Leslie dreht seine Runden. Jaulende Gitarre, ein hämmerndes Schlagzeug. Es ist als hätten sich Led Zeppelin, Deep Purple, Uriah Heep mit den Doors und Pink Floyd vereint.

Baff bin ich und wahrhaft begeistert. Der absolute Bluespurist wird sicherlich im Falle von DeWolff die Nase rümpfen, allerdings müsste er dies durchaus auch bei anderen Acts dieses Festivals tun.

Wieder mehr der Bluestradition zugewandt sind Meena Cryle & The Chris Filmore Band. Chris ist ein ausgezeichneter Gitarrist und arbeitet seit 20 Jahren bereits mit Meena zusammen. Komplettiert wird die Band durch Marianne Lacherstorfer am Bass, Jonny Dyke an den Keyboards und Johannes Pinkelnig am Schlagzeug.

Seit ihrer Tour mit dem Bluescaravan hat sich die Österreicherin Meena auch in Deutschland einen Namen gemacht. Ihre Stimme ist heute wieder in Hochform und ihre Version von „I’d Rather Go Blind“ ist wieder einmal schlichtweg der Hammer.

Die Soli von Chris Filmore haben es in sich. Sie sind ebenso facettenreiche Leckerbissen wie die von Jonny Dyke auf den weißen und schwarzen Tasten.

Kleine Randnotiz:
Jonny Dyke (Sideman von Larry Garner, Elkie Brooks oder auch Patricia Kaas) schickt sich gerade an, mit dem Gitarristen Matt Taylor, dem Snowy White Drummer Roy Martin und dem Bassisten Andy Graham aus Ian Siegel’s Band in der Formation The Motives auf Tour zu gehen. Das bereits zur (gratis) zur Verfügung stehende Tonmaterial macht äußerst neugierig.

Meena kommt mit „Empty Pockets“, wie sie selbst sagt, das heißt, sie hat ihren ganzen CD- Vorrat bereits am Vorabend in Fürth verkauft.

Diese Band macht einfach Spaß und zeigt, dass Blues made in Europe durchaus seinen Stellenwert hat.

Sonny Landreth. Auf ihn, einem der Meister der Slide- Gitarre bin ich sehr gespannt. Sein Sound ist unverkennbar, zudem hat er einen eigenen Stil entwickelt. Durch mein Teleobjektiv kann ich ihm gehörig auf die außerordentlich lang gewachsenen Finger schauen. Mr. Landreth verfügt über eine ausgefeilte Spieltechnik. Atemberaubend. Klasse. Toll. Aber.

Entweder schwächele ich nach der hohen Dosis der feinen Klänge während der letzten beiden Tage oder es ist tatsächlich so, wie ich es im Gespräch direkt neben mir zufällig höre: „Auf die Dauer etwas langweilig.“

Naja, 90 Minuten Slidegitarre sind zumindest schon etwas anstrengend. Und so brauche ich einfach mal eine Pause und lege mich etwas abseits ins grüne Gras mische den Sound von Sonny Landreth weit nach hinten und verschnaufe ein wenig – irgendwie ahnend, dass ich meine Aufmerksamkeitskräfte heute noch brauchen werde.

Otis Taylor & Co. sind eingetroffen. Otis’ wie immer etwas brummeligen Miene ist s nicht anzusehen, wie er nun wirklich gelaunt ist. Der Schirm von seiner Basecap wirft einen dunkeln Schatten über die Augenpartie. Also auch von dorther kein Signal.

Gleich werden wir es ja erleben…

Es wird ein Erlebnis! Und was für eins! Es wird eins von diesen Konzerten, nach dem hunderte Menschen sich fragen: „Wow, was war das denn? So etwas habe ich noch nie erlebt.“

Otis Taylor ist ein Magier, ein Hypnotiseur. Seine Musik wird nicht umsonst als Trance- Blues bezeichnet. Er und seine Band sind in der Lage, ein Publikum in Nullkommanix in ihren Bann zu ziehen. Und zwar voll und ganz.

In seiner Musik setzt Mr. Taylor bewusst auf monotone , sich wiederholende Licks , die aber vor Dynamik sprühen. Dazu noch „His Master’s Voice“ und der Zauber hat bereits begonnen.

Das Ganze hat etwas, das einen tief berührt und nicht mehr los lässt. Voodoo auf höchstem Niveau. Hier ist das Gegenstück zur technisierten Musik, hier spricht die Seele der Musik.

Larry Thompson an den Drums: Ein wahres rhythmisches Feuerwerk, Todd Edmunds (beim letzten Grolsch Bluesfestival noch mit Jason Ricci auf der Bühne) zupft den Bass und bläst die Tuba, dann die beiden Gitarristen Jon Paul Johnson und Tierro Lee, die sich in den Soli und in der Rhythmusarbeit wunderbar ergänzen und schließlich Otis Taylor selbst, der mit 5 String Banjo, Tele- und Stratocaster, aber auch mit der Harp umzugehen weiß.

Live Your Life Before You Die“, einer von Otis’ Songs heute Abend geht ebenso unter die Haut wie all die anderen. Das Leben mit einem solchem Soundtrack macht einfach und gleich mehrfach Spaß.

Nach den Zugaben ist dann Schluss. Ich schlendere noch etwas freudig benommen über den (leider) mit leeren Plastikbechern übersäten Rasen. Viele Zuschauer stehen noch wie angewurzelt da und schauen auf die Bühne, auf der schon kräftig abgebaut wird. Die Scheinwerfer sind auf grell geschaltet und überstrahlen die Szene.

Das 20. Grolsch Bluesfestival in Schöppingen ist Geschichte und hat jetzt bereits Geschichte geschrieben.

Mein Dank geht an Richard Hoelscher und seinen Helfern für die gelungene Mischung im Programm und die volltreffliche Organisation und Durchführung.

Auch ein Dank an das fantastische Publikum, das eine tolle Atmosphäre herbeigezaubert hat.

Last but not least: Dank an all die Künstler, die diesem Festival musikalisches Leben eingehaucht haben.

Wenn mir nicht der Himmel auf den Kopf fällt, bin ich gerne nächstes Jahr wieder dabei. Wann ist da eigentlich Pfingsten?

Zu meiner Fotostrecke vom Festival: http://www.flickr.com/photos/tonyjoegardner/sets/72157626953014762/

Text und Fotos © 2011 Tony Mnetzel



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