20. Bildungsbürger reicht nicht

Bei lyrikkritik.de (Rubrik Rezensionen) bespricht Dirk Uwe Hansen Bertram Reineckes “Sleutel voor de hoogduitsche Spraakkunst” (via roughbooks), Auszug:

Als Bertram Reinecke vor wenigen Monaten den Schlusszyklus des Bandes „Weg über die Fußgängerbrücke bei Nacht“ in Greifswald vortrug, ertappte ich mich dabei, wie ich bei dem Vers „Auf steigt der Strahl und fallend gießt“ in die Runde schaute und befürchtete, unseren C.F. Meyer milde abgenickt werden zu sehen. Denn wie das Cento die Gefahr mit sich bringt, den Dichter zum cleveren Kombinierer zu degradieren, so kann es auch den Zuhörer/Leser zum besserwisserischen Bildungsbürger machen, der seine Klassiker gediegen gebunden auf den Regalen in seinem holzgetäfelten Schädel zur Verfügung stehen hat. Dass ich durch das Lesen von Centos in ein solches Monster verwandelt werden könnte, war meine größte Angst, und all denen, die diese Angst teilen, sei die Lektüre des Sleutels ganz besonders empfohlen. Nirgendwo findet hier ein Abnicken von Klassikern statt; zu vielfältig sind die Quellen, zu groß Reineckes Konsequenz im Vermeiden von Kunststückchen. Man betrachte nur „Es hört auf hell zu sein“ (12) oder „Die Liebenden sind blaß und zart wie Schaum“/„Des Wassers Klarheit wird ihnen entstreben“ (30/31) und die dazugehörigen Anmerkungen. Ein normales Bildungsbürgerrepertoire reicht hier nicht aus, um die Montage der Gedichte nachzuvollziehen, und so verweist Reinecke den Leser nicht nur auf die eigene Bibliothek (das auch (81): er „lese Luther nach!“), sondern gleich auf digitalisierte Quellen (79). Manches Mal mag die Quelle sich auch dem Zugriff entziehen. „Weiter nichts als eine schnarrende Murki (Fragment)“ (18) ist ein solcher Fall, in dem der Leser lieber die eigene Vorstellung bemüht, als die einzelnen Quellen zu recherchieren. Dass es sich bei diesen Quellen um „verschiedene Listen“ handelt, erfährt man aus den Anmerkungen (79), und der Zusammenstoß der Textsorten Fragment und Liste hat Witz, ohne witzig zu sein.

Sieht man dem Fragment von der schnarrenden Murki schnell an, dass es aus verschiedenen Komponenten zusammengesetzt ist, wirken andere Gedichte mehr „wie aus einem Guss“, so die Zusammenstellung aus Formulierungen der Paulusbriefe (20), die eine geschlossene Oberfläche vorgaukelt und daraus ihre Wirkung zieht, oder die Sonette aus Danteversen. „Für Archäologen“ (28) ist ein Gedicht, das schon in Reineckes Band „Engel oder Pixel“ (Schock Edition, Berlin 2012) zu lesen war, dort aber ohne Angaben zur Montagetechnik. Im Sleutel erweist es sich dann als Montage aus Sätzen aus S. Trojans „Um uns arm zu machen“. In beiden Fällen funktioniert es gut.



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