2. Promi-Lyrik

Doch nicht wegen der Gedichte allein kauft man diesen Band, sondern wegen der Neugier: Wer schätzt welches Gedicht warum? Und ja, es macht Spaß, die Kommentare der Befragten zu lesen – und zu prüfen: Passt das zum Promi (und dem was ich mir von ihm erwarte)? Ein authentisches Beispiel (mit unfreiwilliger Komik) ist zum Beispiel Sepp Maier: der famose Fußballtorwart führt „Die Grille sitzt im hohen Gras/ Und zirpt und zirpt und zirpt./ Auf einmal is stad – Kopf abgemaht!“ als Lieblingsgedicht an. Die Begründung der Wahl des lustigen Reims (fast noch lustiger denn der Reim selbst): „Das Gedicht bewegt mich, weil ich im Sommer regelmäßig Rasen mähe.“ Schlicht und glaubhaft – oder doch ein Schelmenstück?

Weitaus leichter entlarvt man so manchen Lyrikfreund mit hochtrabenden Begründungen – diese holprig daher kommenden Ausführungen machen viel Lachen. Aber auch die sympathische Offenheit und Größe mit der so mancher Politiker den Gedichtbezug kommentiert, laden zum Schmunzeln ein. Die Liebe des 6-jährigen Richard von Weizsäcker bekommt den „Handschuh“ (Schiller) hergesagt und heiratet dann später doch einen Italiener. Karl Theodor zu Guttenberg outet sich als jugendlicher Bildungs-Prahlhans, der für sich die Kenntnis des ganzen Hölderlin beanspruchte und ihn noch heute gerne liest. Ein reimfroher  Nachrichtensprecher gesteht freimütig seine Bezüge zum „Herbsttag“: er als Herbstkind bilanziert sehr gerne – wenn er sich dieses inzwischen auswendig gelernte Gedicht hersagt. / Leonhard Reul,Die Berliner Literaturkritik 30.11.

Schellenberger-Diederich(Hg): Mein Lieblingsgedicht. Prominente antworten. C.H. Beck 2010



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