Wenn Zehra Cirak etwas aufregt, dann die ewige Frage nach ihrem »Migrationshintergrund«. Die Autorin, eine mondäne Frau mit schwarzem Kurzhaarschnitt und knallrot geschminkten Lippen, wurde 1961 in Istanbul geboren, kam im Alter von drei Jahren mit ihren Eltern und ihrem Bruder nach Deutschland und wuchs in Karlsruhe auf. Mittlerweile hat sie eine Reihe preisgekrönter Bücher veröffentlicht, darunter Bände mit Gedichten, Prosaminiaturen und Erzählungen. Sie liebt das Knappe, die kurze Form, das Paradoxe und den Wortwitz. So amüsiert sie sich in »Sprachspiel für eine Dramaturgin und eine Türkin« über Identitätsklischees: »Manchmal bin ich/meine eigene Dramatürkin«. Und aus »Stadt – Land – Fluss« wird bei ihr »Stadt – Land – Flucht«. …
Dennoch ist der wichtigste Literaturpreis, den Cirak bislang erhalten hat, der Adelbert-von-Chamisso-Preis, der von der Robert-Bosch-Stiftung an deutschsprachige Autoren nichtdeutscher Sprachherkunft verliehen wird. Andere prominente Preisträger sind Emine Sevgi Özdamar, Ilija Trojanow, Terezía Mora, Sudabeh Mohafez, Artur Becker, Vladimir Vertlib und Feridun Zaimoglu. Natürlich hat sie sich über den angesehenen Literaturpreis gefreut, doch wie ihr Kollege Zaimoglu kritisiert sie, dass man aus dem »Ghetto der Migranten« in Deutschland nicht ausbrechen könne, selbst dann nicht, wenn man im angeblich so offenen, multikulturellen Kulturbetrieb tätig ist. Sie kontert in einem Gedicht mit dem Satz: »Das Salz kennt keine Nationalgerichte«. Es sei erstaunlich, erklärte der Lyriker Joachim Sartorius in seiner Laudatio auf Cirak, »wie gering der Anteil an ›türkischen‹ Themen an ihrem Gesamtwerk ist«. Vergeblich suche man in ihren Texten nach türkischen Traditionen und Einflüssen. Als Vorbild hat die Schriftstellerin einmal die jüdische Dichterin Hilde Domin genannt. Joachim Sartorius meint, dass Ciraks Gedichte »im Grunde eigentlich alles Störfälle« seien. So bezeichnet Cirak in einem Text einen Künstler, der es zu gesellschaftlichem Erfolg gebracht hat, nicht als »berühmt«, sondern als »verrühmt«. / TANJA DÜCKERS, Jungle World