Die Stadtnomaden: Das sind Christina Horsten und Felix Zeltner, die sich mit ihrer kleinen Tochter Emma aufgemacht haben, ihren Wohnort New York auf eine sehr ungewöhnliche Art und Weise zu erkunden.
New York ist die Geburtsstadt von Christina Horsten, doch als ihr Vater wenige Monate später versetzt wurde, zog die Familie wieder zurück nach Deutschland. Sie wuchs in Bonn, Prag und Berlin auf; umzuziehen und sich an einem Ort neu einzuleben ist ihr nicht fremd. Trotz dieser nur kurzen Zeit in New York, an die sie sich natürlich nicht erinnern kann, schwelte in der Journalistin immer eine diffuse Sehnsucht nach der Metropole. Da kam ihr 2012 das Angebot der dpa, dort als Korrespondentin zu arbeiten, sehr recht. Ihr Lebensgefährte Felix Zeltner, ein freier Journalist, war sofort einverstanden. Mit ihrer Tochter, die zwei Jahre später in New York geboren wurde, wohnten sie bis 2016 in einer Wohnung im Wohnviertel Park Slope in Brooklyn. Doch als der Vermieter ankündigte, die Miete um monatlich 400 Dollar zu erhöhen, konnten sie sich ihre Bleibe nicht mehr leisten - sie zahlten da schon 3.200 Dollar. Nach dem ersten Schock beschlossen die beiden jedoch, die Situation positiv zu sehen und ein Umzugsjahr einzulegen: Die nächsten zwölf Monate wollten sie sich quer durch alle fünf New Yorker Stadtbezirke mieten, jeden Monat in einer anderen Wohnung.
Ihre in Deutschland lebenden Eltern hatten deutliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieses Plans, zumal von der ständigen Umzieherei auch ihre Enkeltochter betroffen war. Ist es in Ordnung, einem so kleinen Kind so häufige Wohnungswechsel in jeweils völlig unterschiedlichen Umgebungen zuzumuten? Emma nahm die Situation cooler als ihre Großeltern. Wenn sie eine neue Bleibe zum ersten Mal betrat, kommentierte sie das kurz mit der Frage: "Neues Hause?", um sich direkt danach ihrer Spielkiste zuzuwenden.
Christina Horsten und Felix Zeltner erlebten, dass jedes Wohnviertel der Millionenstadt wie eine eigene Welt ist. Grundsätzlich gilt: Je ärmer die Bewohner sind, desto größer sind nicht nur ihre Offenheit und Gesprächsbereitschaft, sondern auch ihre Angst vor den Folgen der Gentrifizierung. Das, was man auch in deutschen Großstädten beobachten kann, greift in New York noch deutlich stärker um sich: Immobilienspekulanten kaufen Wohnhäuser auf, sanieren sie mehr oder weniger gut und verkaufen oder vermieten sie anschließend zu Mondpreisen. Die bisherigen Bewohner können nicht mithalten und müssen sich in billigeren Gegenden ein anderes Zuhause suchen.
Die Gentrifizierung ist DAS Thema in Stadtnomaden. Es durchzieht fast alle New Yorker Neighbourhoods, und wo diese Entwicklung noch nicht angekommen ist, beschäftigt die Angst vor ihrem Eintreten die Einwohner. Den geschätzt 60.000 Obdachlosen der Stadt stehen derzeit etwa 80.000 leerstehende Wohnungen gegenüber. Praktisch jeder, der nicht Millionär ist, sieht die Bedrohung, die die ständig steigenden Mieten für sein Leben sind.
Die jungen Eltern waren mehr als einmal dabei, an ihrem Projekt zu zweifeln: Immer dann, wenn der nächste Auszug zum Greifen nah gewesen ist, aber noch keine neue Wohnung in Sicht war. Aber jedes Mal hat sich kurzfristig etwas ergeben.
Horsten und Zeltner haben die einzelnen Kapitel abwechselnd geschrieben. In einem von Zeltner verfassten Abschnitt geht es um den Monat in der Upper West Side. In diesem Manhattener Stadtteil gibt es eine sehr hohe Promidichte, was es für viele Menschen attraktiv macht, dort zu leben. Dort stellte Zeltner fest, dass er bislang dachte, eine bestimmte Adresse stünde für geografische Identität und sage etwas über einen selbst aus. Doch zu diesem Zeitpunkt war die Familie nach ihrem Auszug aus Park Slope schon in ihrer achten Kurzzeit-Wohnung. Sein Fazit: Glücklich oder unglücklich kann man überall gleichermaßen werden. Über diese Frage machte sich auch Horsten in Chelsea - zwei Wohnungen weiter - Gedanken. Ihr Resümee fiel allerdings nicht so eindeutig aus.
Die Familie ist durch ihr Umzugsprojekt vielen sehr unterschiedlichen Menschen und ihren ebenso unterschiedlichen Lebensentwürfen begegnet. In fast jeder Wohnung wurden Fremde aus dem Viertel zum Abendessen eingeladen, die einander nicht kannten. So entwickelten sich spannende Situationen, die die Autoren wohl nicht erlebt hätten, wenn sie ganz "normal" in immer derselben Wohnung geblieben wären. Vermutlich gehören sie jetzt zu denjenigen, die New York mit allen Eigenheiten am besten kennen.
Stadtnomaden ist im Benevento Verlag erschienen und kostet 16 Euro. Die Autoren bieten weitere Informationen auf ihrer Buch-Homepage an.
Anmerkung: Als ich kürzlich in München war, habe ich mich im Deutschen Museum mit einem Mann unterhalten, der etwa in meinem Alter gewesen sein dürfte. Er begleitete seinen Vater, der im Rollstuhl saß und augenscheinlich schon ein hohes Alter erreicht hatte. Die beiden überlegten, in welchem Lokal man am Abend essen gehen könnte. Dabei spielte die Barrierefreiheit eine große Rolle. Als ich den beiden zwei Empfehlungen für Restaurants gab, die ich mit meiner Freundin schon besucht hatte, sagte der Mann zu mir: "Obwohl ich schon seit 20 Jahren in München lebe, kenne ich mich gar nicht aus."
"Und ich bin gar nicht von hier", antwortete ich. Muss dem noch etwas hinzugefügt werden?
New York ist die Geburtsstadt von Christina Horsten, doch als ihr Vater wenige Monate später versetzt wurde, zog die Familie wieder zurück nach Deutschland. Sie wuchs in Bonn, Prag und Berlin auf; umzuziehen und sich an einem Ort neu einzuleben ist ihr nicht fremd. Trotz dieser nur kurzen Zeit in New York, an die sie sich natürlich nicht erinnern kann, schwelte in der Journalistin immer eine diffuse Sehnsucht nach der Metropole. Da kam ihr 2012 das Angebot der dpa, dort als Korrespondentin zu arbeiten, sehr recht. Ihr Lebensgefährte Felix Zeltner, ein freier Journalist, war sofort einverstanden. Mit ihrer Tochter, die zwei Jahre später in New York geboren wurde, wohnten sie bis 2016 in einer Wohnung im Wohnviertel Park Slope in Brooklyn. Doch als der Vermieter ankündigte, die Miete um monatlich 400 Dollar zu erhöhen, konnten sie sich ihre Bleibe nicht mehr leisten - sie zahlten da schon 3.200 Dollar. Nach dem ersten Schock beschlossen die beiden jedoch, die Situation positiv zu sehen und ein Umzugsjahr einzulegen: Die nächsten zwölf Monate wollten sie sich quer durch alle fünf New Yorker Stadtbezirke mieten, jeden Monat in einer anderen Wohnung.
Ihre in Deutschland lebenden Eltern hatten deutliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieses Plans, zumal von der ständigen Umzieherei auch ihre Enkeltochter betroffen war. Ist es in Ordnung, einem so kleinen Kind so häufige Wohnungswechsel in jeweils völlig unterschiedlichen Umgebungen zuzumuten? Emma nahm die Situation cooler als ihre Großeltern. Wenn sie eine neue Bleibe zum ersten Mal betrat, kommentierte sie das kurz mit der Frage: "Neues Hause?", um sich direkt danach ihrer Spielkiste zuzuwenden.
Christina Horsten und Felix Zeltner erlebten, dass jedes Wohnviertel der Millionenstadt wie eine eigene Welt ist. Grundsätzlich gilt: Je ärmer die Bewohner sind, desto größer sind nicht nur ihre Offenheit und Gesprächsbereitschaft, sondern auch ihre Angst vor den Folgen der Gentrifizierung. Das, was man auch in deutschen Großstädten beobachten kann, greift in New York noch deutlich stärker um sich: Immobilienspekulanten kaufen Wohnhäuser auf, sanieren sie mehr oder weniger gut und verkaufen oder vermieten sie anschließend zu Mondpreisen. Die bisherigen Bewohner können nicht mithalten und müssen sich in billigeren Gegenden ein anderes Zuhause suchen.
Die Gentrifizierung ist DAS Thema in Stadtnomaden. Es durchzieht fast alle New Yorker Neighbourhoods, und wo diese Entwicklung noch nicht angekommen ist, beschäftigt die Angst vor ihrem Eintreten die Einwohner. Den geschätzt 60.000 Obdachlosen der Stadt stehen derzeit etwa 80.000 leerstehende Wohnungen gegenüber. Praktisch jeder, der nicht Millionär ist, sieht die Bedrohung, die die ständig steigenden Mieten für sein Leben sind.
Die jungen Eltern waren mehr als einmal dabei, an ihrem Projekt zu zweifeln: Immer dann, wenn der nächste Auszug zum Greifen nah gewesen ist, aber noch keine neue Wohnung in Sicht war. Aber jedes Mal hat sich kurzfristig etwas ergeben.
Horsten und Zeltner haben die einzelnen Kapitel abwechselnd geschrieben. In einem von Zeltner verfassten Abschnitt geht es um den Monat in der Upper West Side. In diesem Manhattener Stadtteil gibt es eine sehr hohe Promidichte, was es für viele Menschen attraktiv macht, dort zu leben. Dort stellte Zeltner fest, dass er bislang dachte, eine bestimmte Adresse stünde für geografische Identität und sage etwas über einen selbst aus. Doch zu diesem Zeitpunkt war die Familie nach ihrem Auszug aus Park Slope schon in ihrer achten Kurzzeit-Wohnung. Sein Fazit: Glücklich oder unglücklich kann man überall gleichermaßen werden. Über diese Frage machte sich auch Horsten in Chelsea - zwei Wohnungen weiter - Gedanken. Ihr Resümee fiel allerdings nicht so eindeutig aus.
Die Familie ist durch ihr Umzugsprojekt vielen sehr unterschiedlichen Menschen und ihren ebenso unterschiedlichen Lebensentwürfen begegnet. In fast jeder Wohnung wurden Fremde aus dem Viertel zum Abendessen eingeladen, die einander nicht kannten. So entwickelten sich spannende Situationen, die die Autoren wohl nicht erlebt hätten, wenn sie ganz "normal" in immer derselben Wohnung geblieben wären. Vermutlich gehören sie jetzt zu denjenigen, die New York mit allen Eigenheiten am besten kennen.
Stadtnomaden ist im Benevento Verlag erschienen und kostet 16 Euro. Die Autoren bieten weitere Informationen auf ihrer Buch-Homepage an.
Anmerkung: Als ich kürzlich in München war, habe ich mich im Deutschen Museum mit einem Mann unterhalten, der etwa in meinem Alter gewesen sein dürfte. Er begleitete seinen Vater, der im Rollstuhl saß und augenscheinlich schon ein hohes Alter erreicht hatte. Die beiden überlegten, in welchem Lokal man am Abend essen gehen könnte. Dabei spielte die Barrierefreiheit eine große Rolle. Als ich den beiden zwei Empfehlungen für Restaurants gab, die ich mit meiner Freundin schon besucht hatte, sagte der Mann zu mir: "Obwohl ich schon seit 20 Jahren in München lebe, kenne ich mich gar nicht aus."
"Und ich bin gar nicht von hier", antwortete ich. Muss dem noch etwas hinzugefügt werden?