Aus sozial-liberalen Zeiten: Familie durch Staat nicht ersetzbar
Familie hat in unserer Gesellschaft die wichtige Aufgabe, die menschliche Existenz der
jungen Generation zu sichern […]. Die Bereitschaft der Eltern zur selbstlosen Hingabe kann
ein Gegengewicht zu den im Alltagsleben vorherrschenden zweiseitigen Beziehungen bilden,
die auf einen möglichst großen Vorteil für die eigene Person abgestellt sind. Dadurch kann
einer einseitigen Ausrichtung des Lebens auf das Erlangen ausschließlich materieller
Vorteile vorgebeugt werden. […] Rückzugsmöglichkeiten, die in Notzeiten ein Gefühl der
Geborgenheit verschaffen, kann der Staat nicht in gleichem Maße gewährleisten; denn
Menschlichkeit lässt sich nicht mit Geld allein verwirklichen. Dazu gehört für die Familie
allerdings auch die Bereitschaft, im Dienst an ihren hilfsbedürftigen Mitgliedern Opfer zu
erbringen. Der Staat hat durch materielle und immaterielle Hilfen die Familien bei der
Erfüllung dieser Aufgabe zu unterstützen und sollte nicht versuchen, möglichst viele
Aufgaben der Familie an sich zu ziehen.
Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit (Hrsg.): Die Lage der Familien in der
Bundesrepublik Deutschland (Dritter Familienbericht), Bundestagsdrucksache 8/3120, Bonn
1979, S. 16-17.
Moderner Aberglaube: Institutionenkindheit ist besser als
Familienerziehung
„Das höchste Maß an Gerechtigkeit erreichen wir nicht durch höhere Transfers, sondern
durch den Ausbau der sozialen Infrastruktur.“ So begründet der Sprecher des „konservativen
Flügels“ der SPD seinen Vorschlag, das Kindergeld um 30 Euro zu kürzen, um stattdessen
in Kinderbetreuung und Ganztagsschulen zu investieren. Die SPD-Spitze wollte zwar nicht
von Kürzungen sprechen stimmte ihm aber grundsätzlich zu: Für Kindergelderhöhungen
gebe es keine „Spielräume“, weil „Investitionen in die Infrastruktur Vorrang haben müssten“
(1). Familien sollen also Kaufkraftverluste hinnehmen, damit der Staat ihre Kinder –
versprochen wird besser und professioneller – erziehen und bilden kann. Dabei hat die
Kinderbetreuungsinfrastruktur für die Bundesregierung ohnehin seit Jahren Priorität: Zwar
erhöhte sie 2008/2009 widerwillig noch einmal das Kindergeld; zugleich trieb sie jedoch mit
der „Krippenoffensive“ den um 2002 begonnenen Paradigmenwechsel zur sogenannten
„nachhaltigen“ Familienpolitik voran (2). Dieser zielt darauf ab, dass Kinder von klein auf
„einen wesentlichen Teil des Tages in öffentlich organisierten und verantworteten Bildungs-,
Betreuungs- und Erziehungseinrichtungen“ verbringen. Der Direktor des Deutschen
Jugendinstituts benennt die Konsequenzen dieser Politik für den Alltag von Kindern mit dem
Begriff der „Institutionenkindheit“ (3).
Für die „alten Bundesländer“ in Westdeutschland ist dies eine „stille Revolution“: Bisher
prägte die Familie die Kindheit; öffentliche Kinderbetreuung war lange „allenfalls eine mehr
oder minder punktuelle Ergänzung der privaten Erziehung“ (4). Das Gros der
Erziehungsarbeit leisteten dabei die Mütter. Im Zuge ihrer steigenden Erwerbsneigung führte
dies zum vielfach kritisierten Problem der „Doppelbelastung“. Schon seit den 1970er Jahren
forderten deshalb Familien- und Frauenpolitiker(innen) neben mehr Familienengagement
von Vätern und familienfreundlicheren Arbeitszeiten auch bessere
Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Öffentliche Institutionen sollten die familiäre Erziehung
jedoch keinesfalls verdrängen: Als ihre Aufgabe galt es, die Eltern subsidiär darin zu
unterstützen, ihre Kinder selber zu erziehen (5). Dieser Vorrang der familiären Erziehung
prägte bis in die jüngste Zeit das Bewusstsein der Westdeutschen: Dem „Generations and
Gender Survey“ zufolge sahen sie noch 2005 mehrheitlich in den Eltern die besten Erzieher
ihrer (kleinen) Kinder (6).
Dem Paradigmenwechsel hin zu einer entfamilisierten Kindheit steht dieser vermeintlich
antiquierte Familiensinn im Wege (7): Regierungssachverständige definierten 2002 als Ziel
der „gesamten Gesellschaftspolitik“, im Blick auf die außerhäusliche Kinderbetreuung ein
neues „gesellschaftliches Bild von Normalität“ durchzusetzen (8). Dieser Aufgabe widmet
sich nun seit Jahren eine breite „advocacy coalition“ in Politik und Bewusstseinsindustrie.
Woche für Woche wiederholen regierungsamtliche Mitteilungen, Stellungnahmen von
Parteien, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden sowie vor allem Presse- und
Rundfunkbeiträge dieselbe Botschaft: Institutionelle Ganztagsbetreuung- und Beschulung
von Kindern ist der Schlüssel zu mehr Chancengerechtigkeit, einem besseren
Bildungsniveau und damit zu mehr Wohlstand in der globalisierten Wissensgesellschaft. Wer
dieser Verheißung nicht glaubt, soll durch finanziellen Druck gezwungen werden ihr zu
folgen; manche scheuen sich nicht einmal, einen gesetzlichen Kita- und
Ganztagsschulzwang zu fordern. Ihre Anhänger begründen die institutionelle
Ganztagsbetreuung mit Mängeln familiärer Erziehung, die eine stärkere „öffentliche
Verantwortung“ für das Aufwachsen von Kindern“ erforderten (9).
Doch wer erzieht die Kinder in Betreuungseinrichtungen, Kantinen und Pausenhöfen? Im
öffentlichen Raum prallen in einer immer heterogeneren Gesellschaft sich häufig
widersprechende Interessen, Bedürfnissen und Werte aufeinander. Im Falle der
unvermeidlichen Konflikte halten sich Lehrer und Erzieher häufig eher zurück: Die Kinder
bleiben sich selbst überlassen, den Alltag bestimmen dann die „peer groups“. Dort setzen
sich die Stärkeren und oft die Rücksichtsloseren durch, während schwächere und sensiblere
Kinder leiden. Ist das gerecht? Wer schützt diese Kinder, wenn ihre Eltern es nicht (mehr)
können? Die Advokaten der „Institutionen-Kindheit“ in Politik und Medien können keine
Antworten bieten – schon weil sie sich solche Fragen erst gar nicht stellen.
(1) Siehe: Rheinische Post Online vom 7.12.2010: „Mit mir keine Streichung!“
Original beim Institut für Demokratie, Allgemeinwohl und Familie …
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Hinweise:
Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e.V.
Verstaatlichung der Kinder
Kleinkind bei Mama & Papa – Tagesmutter o. Krabbelstube
Verstaatlichung der Erziehung – Ein Gewinn für die Wirtschaft?