Das Wetter änderte sich wirklich. Dicker, feuchter Nebel lag gegen Morgen über der ganzen Gegend; als es Tag wurde, begann es zu wehen, der Wind war so eisig, der Frost packte ordentlich zu, aber was war das für ein Anblick, als die Sonne aufging! Bäume und Büsche waren mit Rauhreif bedeckt, es sah aus wie ein Wald von weißen Korallen, es war, als ob alle Zweige mit strahlend weißen Blüten übersät wären. Die unendlich vielen und feinen Verästelungen, die man im Sommer unter all den Blättern nicht sieht, kamen nun alle einzeln, hervor, es war ein Spitzengewebe und so leuchtend weiß, als ströme ein weißer Glanz aus jedem Zweige. Die Hängebirke bewegte sich im Winde, es war Leben in ihr wie in allen Bäumen zur Sommerzeit, es war eine unvergleichliche Pracht! Und als dann die Sonne schien, nein, wie funkelte das Ganze, als ob es mit Diamantenstaub überpudert wäre, und auf der Schneedecke des Erdbodens glitzerten die großen Diamanten, oder man konnte auch glauben, daß dort unzählige kleine Lichter brannten, weißer als der weiße Schnee.
"Das ist unvergleichlich schön!" sagte ein junges Mädchen, das mit einem jungen Mann in den Garten trat und gerade beim Schneemann stehenblieb, wo sie die flimmernden Bäume betrachteten. "Einen schöneren Anblick hat man selbst im Sommer nicht!" sagte sie, und ihre Augen strahlten. "Und so einen Kerl wie diesen hier hat man im Sommer erst recht nicht", sagte der junge Mann und zeigte auf den Schneemann. "Er ist ausgezeichnet!" Das junge Mädchen lachte, nickte dem Schneemann zu und tanzte mit ihrem Freunde über den Schnee dahin, der unter ihnen knirschte, als gingen sie auf Stärkemehl.
"Wer waren die beiden?" fragte der Schneemann den Kettenhund, "du bist länger auf dem Hofe als ich, kennst du sie?" "Versteht sich!" sagte der Kettenhund. "Sie hat mich ja gestreichelt, und er hat mir einen Knochen gegeben, die beiße ich nicht!" "Aber was stellen sie hier vor? Fragte der Schneemann. "Brrr-rautleute!" sagte der Kettenhund. "Sie werden in eine Hütte ziehen und zusammen am Knochen nagen. Weg! Weg!" "Haben die beiden ebensoviel zu bedeuten wie du und ich?" fragte der Schneemann. "Sie gehören ja zur Herrschaft!" sagte der Kettenhund, "man weiß wirklich ungemein wenig, wenn man gestern erst geboren ist, das merke ich an dir! Ich habe Alter und Kenntnisse, ich kenne alle hier im Hause! Und ich habe eine Zeit gekannt, wo ich nicht hier in der Kälte und an der Kette lag. Weg! Weg!" "Die Kälte ist herrlich", sagte der Schneemann. "Erzähle, erzähle! Aber du darfst nicht so mit der Kette rasseln, denn dabei knackt es in mir." "Weg! Weg!" bellte der Kettenhund.
"Ein Hündchen bin ich gewesen, klein und niedlich, sagten sie, damals lag ich in einem Samtstuhl drinnen im Hause, lag im Schoße der obersten Herrschaft, sie küßten mich auf die Schnauze und wischten mir die Pfoten mit einem gestickten Taschentuch ab, ich hieß 'Schönster', 'Pusselpusselbeinchen', aber dann wurde ich ihnen zu groß, sie schenkten mich der Haushälterin, ich kam in die Kellerwohnung! Du kannst hineinsehen von dort aus, wo du stehst, du kannst in die Kammer hinabsehen, wo ich Herrschaft gewesen bin, denn das war ich bei der Haushälterin. Es war ein geringerer Ort als oben, aber hier war es gemütlicher, ich wurde nicht von den Kindern gedrückt und herumgeschleppt wie oben. Ich bekam ebenso gutes Futter wie früher und viel mehr! Ich hatte mein eigenes Kissen, und dann war da ein Ofen, der um diese Zeit das Schönste von der Welt ist! Ich kroch ganz darunter, so daß ich verschwunden war. Ach, von dem Ofen träume ich noch. Weg!" "Sieht den ein Ofen so schön aus?" fragte der Schneemann. "Hat er Ähnlichkeit mit mir?" "Er ist gerade das Gegenteil von dir! Kohlschwarz ist er, hat langen Hals mit Messingtrommel. Er frißt Brennholz, daß ihm das Feuer aus dem Munde sprüht. Man muß sich an seiner Seite halten, ganz nahe oder unter ihm, das ist äußerst angenehm. Du muß ihn durch das Fenster sehen können von dort aus, wo du stehst." Und der Schneemann guckte, und wirklich sah er einen schwarzen blankpolierten Gegenstand mit Messingtrommel, das Feuer leuchtete unten heraus.
Dem Schneemann wurde ganz wunderlich zumute, er hatte ein Gefühl, über das er sich selbst keine Rechenschaft ablegen konnte, es kam etwas über ihn, das er nicht kannte, das aber alle Menschen kenne, wenn sie nicht Schneemänner sind. "Und warum verließest du sie?" fragte der Schneemann. Er hatte die Empfindung, daß es ein weibliches Wesen sein mußte. "Wie konntest du nur so einen Ort verlassen?" "Ich bin dazu gezwungen worden!" sagte der Kettenhund. "Sie warfen mich hinaus und legten mich hier an die Kette. Ich hatte den jüngsten Junker ins Bein gebissen, weil er mir den Knochen wegstieß, an dem ich nagte, Knochen um Knochen, denk' ich! Aber das nahmen sie übel, und von der Zeit an habe ich an der Kette gelegen und habe meine klare Stimme verloren, höre nur, wie heiser ich bin: Weg! Weg! Das war das Ende vom Liede!" Der Schneemann hörte nicht mehr zu, er sah ierfort in die Kellerwohnung der Haushälterin, in ihre Stube hinab, wo der Ofen auf seinen vier eisernen Beinen stand und sich in derselben Größe zeigte wie der Schneemann. "Es knackt so seltsam in mir!" sagte er. "Soll ich niemals dort hineinkommen? Es ist doch ein unschuldiger Wunsch, und unsere unschuldigen Wünsche werden gewiß in Erfüllung gehen. Es ist mein höchster Wunsch, mein einziger Wunsch, und es wäre fast ungerecht, wenn er nicht erfüllt würde. Ich muß dort hinein, ich muß mich an sie lehnen, und wenn ich auch das Fenster zerschlagen sollte!" "Dort kommst du niemals hinein", sagte der Kettenhund, "und kommst du an den Ofen, dann bist du weg, weg!" "Ich bin schon so gut wie weg!" sagte der Schneemann, "ich breche zusammen, glaube ich."
Den ganzen Tag stand der Schneemann da und guckte zum Fenster hinein, in der Dämmerstunde wurde die Stube noch einladender, vom Ofen her leuchtete es so mild, nicht wie der Mond und auch nicht wie die Sonne, nein, wie nur der Ofen leuchten kann, wenn er etwas in sich hat. Ging die Tür auf, so schlug die Flamme heraus, das war so seine Gewohnheit, es glühte ordentlich rot auf in dem weißen Gesicht des Schneemannes, es leuchtete rot über seine Brust. "Ich halte es nicht mehr aus!" sagte er. "Wie schön es sie kleidet, die Zunge herauszustrecken!" Die Nacht war sehr lang, aber nicht für den Schneemann, er stand da in seine eigenen schönen Gedanken vertieft, und die froren, daß es knackte. Am Morgen waren die Kellerfenster zugefroren, sie trugen die schönsten Eisblumen, die nur ein Schneemann verlangen konnte, aber sie verbargen den Ofen. Die Scheiben wollten nicht auftauen, er konnte "sie" nicht sehen. Es knackte, es knirschte, es war gerade so ein Frostwetter, an dem ein Schneemann seine Freude haben muß, aber er freute sich nicht, er hätte sich so glücklich fühlen können und müssen, aber er war nicht glücklich, er hatte Ofensehnsucht. "Das ist eine schlimme Krankheit für einen Schneemann", sagte der Kettenhund. "Ich habe auch an der Krankheit gelitten, aber ich habe sie überstanden. Weg! Weg! -
Nun bekommen wir anderes Wetter!" Und es gab anderes Wetter, es gab Tauwetter. Das Tauwetter nahm zu, der Schneemann nahm ab. Er sagte nichts, er klagte nicht, und das ist das richtige Zeichen. Eines Morgens brach er zusammen. Es ragte etwas wie ein Besenstiel in die Luft, dort, wo er gestanden hatte, um den Stiel herum hatten die Knaben ihn aufgebaut. "Nun kann ich das mit seiner Sehnsucht verstehen", sagte der Kettenhund, "der Schneemann hat einen Feuerhaken im Leibe gehabt! Das ist es, was sich in ihm geregt hat, nun ist es überstanden Weg! Weg!" Und bald war auch der Winter überstanden. "Weg! Weg!" bellte der Kettenhund: aber die Mädchen auf dem Hofe sangen: "Waldmeister grün! Hervor aus dem Haus! Weide, die wollenen Handschuhe aus! Lerche und Kuckuck, singt fröhlich drein! - Frühling im Februar wird es sein! Ich singe mit: Kuckuck! Quivit! Komm liebe Sonne, komm oft - quivit!" Und dann denkt niemand mehr an den Schneemann.