# 162 - Ex-US-Ministerin denkt über aktuelle Lage nach

Von Inadegenaar

Hat der Faschismus (wieder) eine Chance?

Vor Kurzem hat Madeleine Albright, die unter dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton von 1997 bis 2001 Außenministerin war, ein Buch herausgebracht, das ihr besonders am Herzen liegt: Faschismus - Eine Warnung. Albright, die gebürtig aus Prag stammt und 1937 als Marie Jana Korbelová geboren wurde, hat mit diesem politischen Prinzip eigene Erfahrungen gemacht: 1939 floh sie mit ihren Eltern vor den Nationalsozialisten nach London und kehrte mit ihrer Familie zurück, als der zweite Weltkrieg beendet war. Doch die Familie floh 1948 erneut, als in der Tschechoslowakei die Kommunisten an die Macht kamen. Diesmal waren die USA ihr Ziel, eine erneute Rückkehr in die Heimat gab es nicht. 

Was macht den Faschismus aus?

Albright hat in ihrem Leben reichlich politische Erfahrungen gesammelt: Bevor sie Außenministerin wurde, war sie drei Jahre Mitglied im Nationalen Sicherheitsrat (NSC) sowie vier Jahre US-Botschafterin bei den UN. Heute leitet sie ein Consulting-Unternehmen und hält Politik-Vorlesungen an der Georgetown-University in Washington. 
Die Politik hat sie ihr ganzes Leben begleitet: Ihr Vater war tschechoslowakischer Diplomat und wurde in den USA Politik-Professor. Dieses Wissen über ihre Person hilft, ihre Beweggründe, dieses Buch zu schreiben, zu verstehen. Es hilft auch, ihre Sicht nachzuvollziehen und sie Ernst zu nehmen. 
Albright betrachtet in ihrem Buch, wie sich unterschiedliche Staaten in den letzten Jahren politisch entwickelt haben und zeigt an vielen Beispielen deutlich und plausibel auf, woran sich heute faschistische Tendenzen erkennen lassen. Ihr Blick reicht zunächst in die Vergangenheit, wo sie noch einmal den Aufstieg der europäischen Faschisten in Erinnerung ruft: Nicht nur Hitler in Deutschland, sondern auch Mussolini in Italien und Franco in Spanien bauten ihren politischen Werdegang auf der desolaten Situation in ihren Ländern auf.
Albright erinnert sich an den Lauf der Geschichte in ihrer tschechoslowakischen Heimat und die Rolle ihres Vaters als Botschafter im jugoslawischen Belgrad, als sich ihr Heimatland in einen kommunistischen Staat verwandelte. Diese Verwandlung trug Merkmale, die man auch bei faschistischen Machtübernahmen beobachten konnte: "eine einzige Partei, die mit einer Stimme spricht, sämtliche staatlichen Institutionen kontrolliert, zudem behauptet, das ganze Volk zu repräsentieren und diese Scheinwelt als Triumph des Volkes bezeichnet."

Und heute?

Albright beschreibt die Schwächen einer Demokratie: Sie ist korruptionsanfällig, schwerfällig und erfordert eine große Kompromissbereitschaft. Eine Gesellschaft bringt in guten Zeiten die Geduld auf, die Dauer von Entscheidungsprozessen und dem Zurateziehen von Experten auszuhalten, aber sobald etwas so dringend zu sein scheint, dass sofort eine Entscheidung gefällt werden soll, ist es mit ihrer Geduld vorbei. In solch einer Situation plädieren viele Menschen dafür, auf demokratische Prozesse zu verzichten und sich sagen zu lassen, welcher Weg eingeschlagen werden soll. Doch die Macht in einer Gesellschaft nur einer einzigen Partei oder Person zu übertragen heißt, dass im Falle eines Machtmissbrauchs nicht mehr legal eingegriffen und diese Entwicklung gestoppt werden kann. Auch etliche Staatschefs, die zu Beginn ihrer Regierungszeit in aller Welt für aufrichtig gehalten wurden, haben ihre Länder ruiniert und wurden zu brutalen Autokraten, die sich an ihre Macht klammerten.

Lesen?

Madeleine Albright erklärt, wo sie heute Tendenzen zu autokratischen Systemen erkennt. In den von ihr benannten Ländern wie z. B. Ungarn, der Türkei, Nordkorea oder den Philippinen sieht sie eine Entwicklung nach dem Muster, nach dem bereits Mussolini vorgegangen ist: Der Diktator empfahl, wer Macht an sich bringen wolle, müsse dabei so klug vorgehen wie jemand, der ein Huhn rupft, nämlich Feder um Feder. Dann gebe es kein lautes Gegacker und alles gehe unbemerkt vor sich. 
Wer sich heute in der politischen Landschaft umsieht, kann feststellen, dass dieser Tipp immer noch beherzigt wird. Faschismus - eine Warnung ist schon deshalb lesenswert, weil Albright ihren Lesern die Parallelen zwischen früheren Faschisten und heutigen politischen Tendenzen aufzeigt. Es hilft dabei, die ersten Anzeichen zu erkennen.
Faschismus - eine Warnung ist bei Dumont erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 24 Euro sowie als epub- oder Kindle-Edition 19,99 Euro.