# 161 - Wie entsteht eine Diktatur?

Von Inadegenaar

Berlin in der Zerreißprobe zwischen Demokratie und Dikatur

Brigitte Krächan hat mit ihrem Roman Heute keine Schüsse ein Buch in einem interessanten Format vorgelegt. Ihr Protagonist Walter Schachtschneider ist der jüngste Sohn einer Wittener Fabrikantenfamilie. Im Gegensatz zu seinen Geschwistern scheint er keine besonderen Begabungen außer dem Interesse an der Kunst zu haben. Das sieht zumindest sein Vater so, der ihm keine größere Beachtung schenkt. Doch Walter wird im 1. Weltkrieg auf eigenen Wunsch zunächst Soldat. Er ist sicher, so das Wohlwollen und die Anerkennung des Vaters zu bekommen und soll damit Recht behalten. Aber das Grauen auf dem Schlachtfeld macht ihn im Gegensatz zu manch anderen Soldaten zu einem Menschen, der den Krieg ablehnt. 
Entgegen der Erwartungen der Deutschen wird der Krieg verloren, wofür die konservativen Parteien den Befürwortern einer friedlichen Lösung die Schuld geben. Die völlig verschiedene Einschätzung über den Sinn und Erfolg dieses jahrelangen Massensterbens treibt Walter und seinen Vater wieder auseinander.

Berlin als Tor zur Freiheit?

Walters Wunsch, als Angestellter in der Berliner Galerie Radke zu arbeiten, wird von seinem Vater befürwortet. Er ist grundsätzlich mit seiner Tätigkeit zufrieden und genießt es, fern des Elternhauses sein eigenes Leben leben zu können, ohne ständig kritisiert zu werden. Der junge Mann nutzt die kulturellen Möglichkeiten, die die Hauptstadt bietet, doch es dauert nicht lange, bis die ersten Schatten auf diese Unbeschwertheit fallen. Der Versailler Vertrag verhindert, dass das in Trümmern liegende Deutschland wieder auf die Beine kommt. In der Zeit der Weimarer Republik geht es mit der Wirtschaft stetig bergab, die Arbeitslosigkeit steigt dramatisch an, der armen Bevölkerung fehlt es am Notwendigsten. Die politischen Gruppierungen versuchen, die Lage für sich zu nutzen. Das, was zum Ende dieser Zeit bis zur Machtergreifung durch Hitler mit seiner NSDAP passiert, ist bekannt. Walter Schachtschneider ist jedoch nicht in der Lage, sich aktiv auf eine Seite zu schlagen und für seine politische Sicht einzutreten. Während in Berlin Aufmärsche und teils massive Handgreiflichkeiten unter den politischen Gegnern zum Alltag werden, sieht er sich als neutralen Chronisten und geht weiter seinem Beruf nach. Seine Unentschlossenheit führt sogar dazu, dass Menschen, die ihm wichtig sind, sterben. Erst einer dieser Todesfälle sowie das Fortschreiten der Gleichschaltung, das sich auch in den öffentlichen Bücherverbrennungen niederschlägt, bringen Walter dazu, sich für andere Menschen einzusetzen und holen ihn aus seiner selbst gewählten passiven Rolle heraus. Dass sich angesichts der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten der Riss in der Gesellschaft auch in seiner eigenen Familie und der seines Arbeitgebers fortsetzt, macht ihn eher hilflos.

Lesen?

Brigitte Krächan hat für ihren Roman eine interessante Erzählform gewählt: Walter Schachtschneider schildert seine eigene Geschichte und die seiner Familie in Form eines Tagebuches. Dabei berichtet er auch über das tagesaktuelle Geschehen im Deutschen Reich und ganz speziell in Berlin. Zu Beginn der Aufzeichnungen nimmt er sich noch vor, möglichst neutral zu schreiben, aber dieser Vorsatz löst sich mit dem Fortgang der Geschichte nach und nach in Luft auf. Die Tagebucheintragungen werden mal täglich, mal aber auch im Abstand von mehreren Wochen gemacht. Heute keine Schüsse wird durch diese Form der Darstellung zu einer Mischung aus einem Geschichtsbuch und einem Roman. Walters Leben ist zwar bis zum Schluss durch Kunst und Kultur geprägt, aber es wird immer deutlicher, dass die Veränderungen, die in Deutschland passieren, auch ihn persönlich bedrohen.  
Heute keine Schüsse ist ein sehr lesenswertes Buch, das zwar auch unterhält, aber durch die Einbindung der historischen Ereignisse in die Handlung auch Einzelheiten in Erinnerung ruft, die fast schon vergessen waren. Die Parallelen zur aktuellen Politik und zu gesellschaftlichen Strömungen sind dabei nicht zu übersehen. 
Heute keine Schüsse ist bei tredition erschienen und kostet als gebundenes Buch 24,99 Euro, als Taschenbuch 16,99 Euro sowie als epub- oder Kindle-Edition 5,99 Euro.