Wenn ein Mädchen ein Haus vor dem Abriss schützen will, muss sie nicht sterben. Wenn aber ein Bulldozer ein Mädchen umfährt ist sie tot. Wenn ein Mädchen glücklich sein will, muss sie nicht anderen Menschen in der weiten Welt helfen, die sie gar nicht kennt. Wenn sie es aber doch tut und dabei ihr Leben verliert, dann nur, weil sie ein Gewissen hat.
Gewissen. Der 16. März ist der Tag des Gewissens. Vor 8 Jahren wurde an diesem Tag Rachel Corrie tödlich verletzt als sie das Haus einer palästinensischen Familie vor dem Abriss schützen wollte. Sie war 23 Jahre alt, aus Olympia/Washington und hielt sich in Gaza als Freiwillige der ‘Internationalen Solidaritätsbewegung’ auf. Regelmäßig schrieb sie e-Mails nach Hause und berichtete von der dortigen Lage, von Bildern, die sie sah und von Gefühlen, die sie nicht losließen und zum aktiven Handeln trieben.
Ich bin jetzt 14 Tage und eine Stunde in Palästina und ich habe noch immer wenig Worte, um das zu beschreiben, was ich sehe. Es ist sehr schwierig für mich, darüber nachzudenken, was hier abläuft, wenn ich einen Brief in die USA schreibe…. Ich weiß nicht, ob viele Kinder hier jemals ohne Raketen-Löcher in den Wänden ihrer Wohnungen gelebt haben und ohne Türme einer Besatzungsarmee, die sie ständig aus nächster Nähe beobachtet. Ich denke, bin mir aber nicht ganz sicher, dass selbst die kleinsten Kinder begreifen, dass das Leben nicht überall so ist. Vor zwei Tagen wurde ein Achtjähriger von einem israelischen Panzer angeschossen und getötet und viele flüstern mir gegenüber seinen Namen “Ali” oder zeigen auf das Poster von ihm an den Wänden.
Sie war eine feinfühlige Beobachterin, die mit offenen Augen und Ohren durch die Welt ging. Rachel hatte blonde Haare. Menschen, für die sie sich einsetzte hatten schwarze. Sie hatte blaue Augen. Menschen, für die sie starb hatten dunkle.
Trotzdem denke ich über die Tatsache nach, dass egal wie viel man liest, auf Konferenzen hört, Dokumente studiert und mündlichen Zeugen lauscht, mich nichts auf die Realität der Situation hier vorbereiten konnte. Ihr könnt es euch nicht vorstellen, wenn Ihr es nicht selbst seht – und selbst dann , ist man sich ständig bewusst, dass die eigene Erfahrung ganz und gar nicht die Realität ist. Welche Schwierigkeiten die israelische Armee wohl hätte, wenn sie auf einen unbewaffneten US-Bürger geschossen hätte? Und die Tatsache, dass ich Geld habe, um Wasser zu kaufen, wenn die Armee die Quellen zerstört und natürlich die Tatsache, dass ich jederzeit die Möglichkeit habe, das Land zu verlassen. Keiner in meiner Familie wurde erschossen, keiner im Wagen fahrend von einer Granate getroffen, die von einem der Türme am Ende einer Hauptstraße in meiner Heimatstadt abgeschossen wurde. Ich habe ein Zuhause. Mir ist es erlaubt, das Meer zu sehen.
Rachel starb, weil sie an Gerechtigkeit und Freiheit glaubte. Auch für das palästinensische Mädchen, dessen Sprache sie nicht verstand, dessen Verzweiflung sie aber fühlte. Tief in ihrem Herzen lag dieses Gefühl. Direkt neben dem Gewissen.
Auch du und ich haben ein Gewissen. Da bin ich mir sicher. Wir sind nicht Rachel, aber wir bewundern sie. Wir denken an Rachel Corrie, die für immer 23 Jahre alt ist, blonde Haare und blaue Augen hat. Das Mädchen, die für Freiheit starb und jetzt mit ihrem Gewissen weiterlebt.