Derjenige, diejenige, die bloß sagen kann: ich bin Flüchtling, ist Flüchtling. Das nichts begründet den Flüchtling wohl; weniger als fünf Worte begründen ihn.
Das nichts ist eine gute Begründung. Welche Begründung aber verlangt die Genfer Flüchtlingskonvention vom Flüchtling? Die Konvention, in ihrer deutschen Fassung, verlangt – definiert nicht, sondern verlangt -, daß der Flüchtling seine Furcht – die Furcht vor Verfolgung – wohl begründet. Soweit ich die Sache verstehe, gab es einen Originaltext der Genfer Flüchtlingskonvention und dieses Original ist in englischer Sprache verfaßt. Die wohlbegründete Furcht heißt im englischen Original well-founded fear. Well-founded bedeutet nicht unbedingt, daß der, der sich fürchtet, die Furcht mit einer Begründung versehen muß. Von den guten Gründen der Furcht ist zwar die Rede, nicht aber vom Begründen. Dem Furchtsamen ist hier keine Aufgabe gestellt – es wird nicht gesagt, daß er begründen soll. Die englische Version sagt, sagt möglicherweise, daß es gute Gründe geben soll – nicht aber, daß der sich Fürchtende die Aufgabe hat, sie aufzuzählen. Mit well-founded ist keine Aussage von dem sich Fürchtenden gefordert. Es soll da nur eine solide, substantielle Basis geben: well-founded, aber nicht notwendigerweise ausführlich und mühsam begründet, gegen Einwände und Zweifel. Die Alternative zur wohlbegründeten Furcht ist nicht die schlecht oder unzureichend begründete Furcht; die Alternative ist die unbegründete Furcht, die Furcht, zu der es gar keinen Grund gibt, die unbegründbar ist. Hören wir in dieser Sache Shakespeare, ‘Macbeth’, Akt III, 4. Szene: “Then comes my fit again. I had else been perfect, whole as the marble, founded as the rock.” Doch kam mein Anfall wieder. Vollkommen wär ich sonst gewesen, wie der Marmor ganz, wie der Fels gegründet. Bei diesem Felsen geht es nicht darum, daß ihn jemand begründet. Ich denke mir: Keine Beweislast oder Begründungslast liegt bei dem Flüchtling.
Um die Sache verzwickter zu machen, heißt es in der deutschen Fassung: “… aus Gründen der Rasse etc. verfolgt zu werden.” Es sieht so aus, als ob diese Gründe die Gründe sind, die die nach Europa Geflüchteten in ihrer Begründung wohl-begründen sollen. Diese Vermischung von wohl-begründen und Gründe findet sich im englischen Text nicht. Dort heißt es well-founded und reasons. A well-founded fear scheint mir eine tiefgehende oder tiefreichende Angst zu sein. Es ist damit wohl eine große Angst gemeint, die so groß ist, daß jemand aus seinem Land flüchtet und alles ihm Wichtige zurückläßt oder verliert.
/ Peter Waterhouse : FÜGUNGEN. Versuch über Flucht und Recht und Sprache, in|ad|ae|qu|at : mitSprache 2012 Dokumentation