Am vergangenen Dienstag, dem 13. Dezember 2011, fand in Madrid die konstituierende Sitzung des neu gewählten spanischen Abgeordnetenhauses (Congreso de los Diputados) statt. Mitglieder von Democracia Real Ya und die Initiatoren der Initiative für eine Demokratie 4.0 nutzten diesen Moment für eine symbolische Aktion, um eine groß angelegte Kampagne für die Reformierung des Wahlrechts in Spanien zu starten.
Ein Bürger, eine Stimme
Bereits Wochen zuvor war über Facebook und Twitter unter dem Stichwort #TomaTuVoto (etwa »Besetze dein Stimmrecht«) dazu aufgerufen worden, an diesem Tag massenhaft Petitionen für die Einführung der Demokratie 4.0 an das Abgeordnetenhaus zu senden. Bei der Demokratie 4.0 handelt es sich um ein Konzept für eine neuartige Demokratieform, eine Mischform aus repräsentativer und direkter Demokratie. Ihr Motto »Un ciudadano, un voto« (»Ein Bürger, eine Stimme«) spielt auf Missstände im aktuellen Wahlrecht Spaniens an, die dazu führen, dass in manchen Provinzen des Landes für einen Parlamentssitz deutlich weniger Stimmen erforderlich sind, als in anderen, und dass landesweit agierende kleinere Parteien gegenüber größeren deutlich benachteiligt werden. Dieser als ungerecht und den Status quo zementierende Zustand war einer der Hauptauslöser für die Bewegung 15-M und ihren Slogan »¡No nos representan!« (»Sie repräsentieren uns nicht!«), der auf den ersten Massendemonstrationen vom 15. Mai 2011 auftauchte.
Screenshot von ElMundo.es vom 17.05.2011: »Unter dem Motto ›Sie repräsenieren uns nicht‹ bringen Tausende die Puerta del Sol zum Erliegen«
Die Idee der Demokratie 4.0 sieht vor, allen Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu eröffnen, via Internet jederzeit direkt an Abstimmungen im Abgeordnetenhaus teilzunehmen. Je nach Anzahl der direkt abstimmenden Bürger reduziert sich das Stimmgewicht der Parlamentarier proportional. Einzelheiten zu diesem Konzept finden sich auf dieser Seite.Während sich im Abgeordnetenhaus die Parlamentarier zur ersten Sitzung der 10. Legislaturperiode einfanden, machten Tausende Bürger im ganzen Land von ihrem Grundrecht auf Petition Gebrauch und forderten eine direktere Form der Demokratie mit größerer Kontrolle durch die Bürger. Dazu aufgerufen hatten die Plattformen Democracia Real Ya und 15-M, die auf ihren Webseiten die entsprechenden Formulare für die Petition bereitgestellt hatten.Um 10 Uhr morgens fand sich eine Gruppe um Juan Moreno und Francisco Jurado, den Gründern der Initiative Democracia 4.0, vor dem Abgeordnetenhaus in Madrid ein, um ihre Petitionsformulare persönlich bei der Kommission für Verfassungsgarantien einzureichen. Jurado sagte dazu: »Während da drinnen die Parlamentarier ihre Sitze einnehmen, fordern wir hier draußen unseren Anteil an der Staatsgewalt zurück. Drinnen findet der Politikzirkus statt, aber wir verlangen eine echte Politik« Juan Moreno hatte die Petition für eine Demokratie 4.0 bereits vor mehr als einem Jahr beim Abgeordnetenhaus eingereicht, ohne jemals Antwort darauf erhalten zu haben, obgleich das Gesetz eine Antwortpflicht des Parlaments auf derartige Verfassungspetitionen innerhalb von drei Monaten vorsieht.Sollte auch in nächster Zeit keine Antwort erfolgen, plant Democracia Real Ya, Verfassungsbeschwerde einzulegen. Francisco Jurado weiter: »Wir verlangen nicht die Abschaffung der Parteien, sondern dass sie uns bei wichtigen Entscheidungen abstimmen lassen.Wir wollen eine Demokratie in Echtzeit«.Bildquelle: El Público, 14.12.2011
Die Forderung nach einer grundlegenden Reform des Wahlrechts in Spanien und nach einer Demokratieform mit größerer Bürgerbeteiligung wurde für die gerade begonnene Legislaturperiode zu einem der Hauptthemen der Bewegungen Democracia Real Ya und 15-M erklärt. (Quellen: Democracia 4.0 und El Público, 14.12.2011).